Die Heidehexe - Historischer Roman
Schwarz, das Gesicht mit einem ebenso schwarzen Spitzenschleier bedeckt.
Derweil die Freunde verständnislose Blicke austauschten, schien der Braut die seltsame Kostümierung nicht aufzufallen. Die Mädchen stürmten aufeinander zu, wirbelten durch den Saal.
„Dass du zu unserem Ehrentag gekommen bist, meine liebste Freundin, werde ich dir nie vergessen. Danke, Karina. Ein Teil der Familie hat mich bei seinem letzten Besuch in der Heide nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. Hauptsache, du bist da. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass du aufkreuzen würdest, es jedoch nicht zu glauben gewagt.“
Karina lächelte. „Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit. Obwohl es keinem aus unserer Sippe passte, dass diese stattfindet, wünschen alle euch nun Glück und Sonnenschein auf dem Lebensweg. Wir Gaukler sind die Letzten, die Unrecht bestrafen dürfen oder wollen. Vorher warnen geht in Ordnung. Wenn die Warnung in den Wind geschlagen wird, verzeihen wir und lassen dem Schicksal seinen Lauf.“
„Du sprichst in Rätseln“, sagte Isabella.
„Macht nichts. Damit du weißt, dass Großmutter dich liebt und immer für dich da ist, schickt sie dir durch mich diese Hochzeitsgabe. Verliere sie niemals.“ Karina überreichte ihr eine Silberschatulle, die natürlich sofort von der Braut geöffnet wurde.
Victor und Alwin erstarrten. Die vermisste Kette mit den blauen Perlen des Lebens. Der Verlust hatte ihren Vater in den Wahnsinn getrieben und letztendlich seinen Tod verursacht.
Karina wandte sich an die Cousine, blickte dabei aber fortwährend Victor und Alwin an. „Erweise dich dieses Schmuckes würdig, sonst droht dir Unheil. Er befindet sich seit Urzeiten in unserem Besitz. Wir haben einstimmig beschlossen, dass du die künftige Trägerin sein sollst. Verschenke ihn unter keinen Umständen. Es wäre dein Untergang, so wie er es für Rubina war, die ihn vor vielen Jahren von unserer Großmutter erhalten und dem Mann ihrer Träume weiterverschenkte. Halte auch den Maikristall in Ehren. Er weist dich als Königstochter aus.“
„Wie kann ich ihn in Ehren halten, wenn ich ihn gar nicht besitze? Du bist nach der Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel bereits die Zweite, die mich darauf anspricht. Aber ich kann nur immer wieder versichern, dass ich keinen Kristall, gleich welcher Art, mein Eigen nenne.“
„Glaub mir, Herzchen, du besitzt ihn. Ahnst es nur noch nicht“, sagte Karina und kicherte.
Ehe Isabella für das Geschenk danken konnte, warf sie ihr eine Kusshand zu, rief: „Ein andermal mehr. Jetzt muss ich eilen. Rinaldo wartet vorm Tor in der Kutsche auf mich“, und entschwand gleich einem Fabelwesen, das nur in der Vorstellungskraft der Menschen existiert. Die Perlenkette bewies, dass keine übernatürlichen Mächte am Werk gewesen waren.
Die geheimnisvollen Andeutungen Karinas verfehlten ihre Wirkung nicht, hinterließen nachdenkliche Gesichter.
„Bizarres Schauspiel, das uns zum Abschluss der Hochzeit kostenlos dargeboten wurde“, brachte Ludwig, der Kluge, die Gedanken der Anwesenden auf einen gemeinsamen Nenner.
Victor und Alwin wussten nun, wer das Geheimversteck des Vaters aufgebrochen und Rubinas Geschenk geraubt hatte, verloren aber kein Wort darüber. Außer ihnen war niemand eingeweiht, und so sollte es bleiben.
Von dieser Minute an, wähnten sie sich nicht mehr sicher im Schloss. Wer weiß, was die Zigeuner noch mit uns vorhaben, dachte Alwin, und kalter Schweiß entströmte seinen Poren.
Den mysteriösen Auftritt Karinas sah er als unverhohlene Drohung an, verschwieg das aber Isabella gegenüber, hatte sie sich doch so sehr über den Besuch der Base gefreut und keinerlei Hintergedanken daran geknüpft.
Was den Zigeuner Rinaldo betraf, konnte zumindest Barbara sicher sein, dass ihm der Sinn nach anderem s tand. Als Karina erschien, war sein Gesicht kurz, nur für sie sichtbar, im Türrahmen aufgetaucht. Braune Augen hatten ihr zugeblinzelt, dem Mädchen signalisiert, die Hochzeitsgesellschaft unauffällig zu verlassen und ihm zu folgen. Ihr Herz hüpfte vor Freude, als sie dem Jüngling in gebührendem Abstand nacheilte. Nur nicht auffallen, dachte sie und verlangsamte die Schritte, um dann hurtig die Kutschentür zu öffnen, wo Rinaldo bereits ungeduldig ihrer harrte, und eine Begrüßung als unwichtig erachtete.
„Zieh dich aus“, befahl er stattdessen, „uns bleibt nicht viel Zeit. Bald wird Karina wiederkommen. Dann musst du verschwunden sein.“
B
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