Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
ein Erwachsenengespräch handelte. Nachdem sich Simon mit beleidigtem Gesicht verzogen hatte, herrschte eine gespannte Stille in der kleinen Stube des ehemaligen Verwalters. Die jungen Ermittler saßen Kuniberts betagten Eltern gegenüber und warteten auf die lang ersehnten Hinweise. Agnes hatte unter dem Tisch Ludolfs Hand ergriffen. Sie sehnte sich nach seinem Rückhalt.
Nikolaus saß am Kopfende und stellte die Anwesenden einander vor. Er hatte Albert und Sophie Nachtigal heute Morgen besucht und mit ihnen über die Nachforschungen gesprochen. Daraufhin hatten sie sich entschlossen, ihr Schweigen zu beenden. Die Frau Nachtigal saß wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl und schaute auf ihren Schoß, wo sie ihre Hände sittsam gefaltet hielt. Ab und zu wischte sie sich mit einem kleinen Leinentuch über die verweinten Augen. Ihr Mann lehnte sich auf den Tisch und starrte mit versteinerter Miene die Wand an. In seinem Gesicht war keinerlei Reaktion zu erkennen.
Nikolaus Binder erhob sich. »Ich lasse euch nun lieber allein. Ich bin im Garten.« Und schon war er verschwunden.
Schweigend saßen die vier um den Tisch – niemand traute sich, den Anfang zu machen. Nur ab und zu schniefte Sophie Nachtigal leise in ihr Tüchlein. Irgendwo in der Nachbarschaft hackte jemand Feuerholz. Man hörte die harten Schläge der Axt und anschließend das dumpfe Poltern des gespaltenen Klotzes. Woanders kreischten Kinder beim Spielen. Vielleicht war Simon einer davon.
Endlich fasste sich Ludolf ein Herz und fragte: »Weswegen wolltet ihr bisher nicht mit uns sprechen?«
Albert Nachtigal blickte weiterhin starr auf die Wand, als er nur kurz antwortete: »Wir hatten Angst.« Seine Stimme klang müde und leblos.
»Warum? Weil Ulrich euch das Haus wegnehmen will?«
Bevor ihr Mann etwas sagen konnte, sprach die Frau: »Nein, mein Herr. Das Haus gehört uns. Wir hatten einmal Schulden, aber Kunibert hat das mit dem Herrn von Engern geregelt.«
»Es geht um was anderes«, ergänzte Kuniberts Vater. »Wir haben ein Geheimnis erfahren und aus Scham geschwiegen. Aber nun glauben wir, dass es was mit Kuniberts Tod zu tun hat.«
»Aha?« Agnes war ganz erstaunt. Etwas, das sie bisher noch nicht kannten? »Was für ein Geheimnis meint ihr denn bitte?«
Nun drehte der alte Mann seinen Kopf und blickte seine Gegenüber endlich an. Sein Gesicht blieb wie versteinert, aber in seinen Augen loderte ein gefährliches Feuer. »Kunibert ist nicht unser leiblicher Sohn.«
»Ich habe nie Kinder bekommen«, ergänzte seine Frau.
Agnes nickte. »Das haben wir schon gehört. Kunibert wurde euch vom Kloster St. Jakobi zur Pflege übergeben.«
Albert Nachtigal hob erstaunt eine Augenbraue und fuhr mit seiner Erzählung fort. »Eine sehr alte Nonne kam vor Kurzem zu uns. Vor ihrem Tod wollte sie noch ihre Seele erleichtern.«
»Wieso erleichtern?«
»Sie hatte uns damals Kunibert als wenige Tage altes Kind gebracht. Sie sagte uns nun, wer Kuniberts wirkliche Eltern sind.«
»Sind die Eltern hier aus Rinteln?«
Er nickte, schwieg aber.
Nach einiger Zeit fragte Agnes deshalb: »Wollt ihr es uns nicht sagen?«
Sophie Nachtigal legte ihre Hand auf den Arm ihres Mannes. Mit leiser Stimme flüsterte sie ihm zu: »Wir müssen’s nun sagen.«
Ludolf und Agnes waren aufs Äußerste angespannt. Dass hier in Rinteln öfter Kinder abgegeben wurden, hatte ja schon Marias Nachbarin berichtet. Aber warum sollte es so etwas Dramatisches sein, wer Kuniberts Eltern waren?
»Greta von Hattelen ist seine Mutter.«
Agnes prallte erschrocken zurück. »Ihr meint die Äbtissin des Klosters St. Jakobi?«
»Ja.«
»Das glaube ich einfach nicht.« Die junge Frau war schockiert. Mit fast allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit diesem Namen. Das Bild der gebärenden Nonne erschien wieder vor ihrem geistigen Auge. Schon damals war das Kloster also ein Sündenpfuhl gewesen. Schon vor Jahren hatte sich dort widerlicher Abschaum an den jungen Schwestern vergangen. Wie konnte das seit so vielen Jahren geduldet werden? Warum war niemals jemand dagegen eingeschritten? War dieses schändliche Treiben denn niemandem außerhalb der Klostermauern aufgefallen?
Ludolf ergriff ihre Hand, um sie ein wenig zu beruhigen. Aber Agnes schüttelte ihn ab. Sie hatte jetzt weder den Wunsch noch das Bedürfnis nach körperlichem Kontakt mit einem Vertreter dieses lüsternen Geschlechts. Enttäuscht und ärgerlich verschränkte er seine Arme vor der Brust.
Agnes fragte ganz
Weitere Kostenlose Bücher