Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
dahergelaufener Strauchdieb und Mörder. Es gibt genug Unglück. Lasst es bitte für heute Nacht gut sein und geht nach Hause.« Er klopfte einigen aufmunternd auf die Schulter und sprach tröstende Worte. Er bemühte sich aufrichtig, die aufgeheizte Stimmung zu besänftigen. Dieser kleine Priester hatte einen großen Einfluss auf die Leute. Ohne ihn hätte es bestimmt einen Aufruhr gegeben, die Leute wären durch den Ort zum Resenbachschen Hof gezogen und hätten den Amtmann am nächsten Baum aufgeknüpft. Dies hätte natürlich katastrophale Folgen für den ganzen Ort gehabt, denn Herr Wedekind hätte mit eiserner Hand durchgreifen müssen.
Anno sah Ludolf im fahlen Mondlicht auf dem Weg stehen und ging zu ihm hinüber. Er fuchtelte verlegen mit seinen Händen, als wüsste er nicht, wo er sie lassen sollte: Er faltete sie auf dem Bauch, steckte eine Hand in seinen Gürtel, kratzte sich mit der anderen am Kopf. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen. Er schaute sich um, ob es nicht zufällig einen Zuhörer gab. »Können wir jetzt noch die Unschuld des Schmieds beweisen?«, fragte er leise.
»Ich werde morgen beim Bischof alles erzählen, was wir von der Magd erfahren haben.«
»Gut, gut.«
Anno zupfte aufgeregt an seinem linken Ohrläppchen und brummte vor sich hin. »Können wir denn sonst noch irgendetwas für den Armen tun? Mir behagt es nicht, ihn wegen einer falschen Anschuldigung sterben zu sehen.«
»Das will ich auch nicht. Wir hörten, Dietrich war sonntags bei der Burg Wedigenstein, um sein Kind zu sehen.«
»Ja, ja. Seine Schwester wohnt dort. Die kümmert sich darum. Am Sonntagnachmittag ist er meistens drüben.«
»Könntet Ihr morgen in Erfahrung bringen, ob er an dem unglücklichen Sonntag, als Kuneke ermordet wurde, auch dort war? Vielleicht weiß ja noch jemand, wann er sich wieder auf den Heimweg machte.«
»Gut. Das werde ich morgen machen. Glaubt Ihr, Ihr schafft es, beim Bischof zu intervenieren? Wird er überhaupt auf Euch hören?«
»Der Bischof hat uns für morgen früh zu sich bestellt. Wir müssen also so oder so zu ihm, um ihm Bericht zu erstatten. Mit Gottes Hilfe werden wir das schon schaffen.«
Anno schaukelte von einem Fuß auf den anderen. Er war völlig in Gedanken verloren. »Das arme Ding. Hat sich zu viele Vorwürfe gemacht. So viel Traurigkeit. Schlimm. Ich muss morgen zu ihrer Mutter. Das wird nicht leicht. Gute Nacht.«
Ohne einen Gruß von Ludolf abzuwarten, ging der Pater davon. Er litt mit den Menschen mit, empfand ihren Kummer als seinen eigenen. Wie hielt er das aus, ohne zu verzweifeln? Wie konnte man da überhaupt weiterleben? Dazu bedurfte es eines tiefen Glaubens an Gott und einer unendlichen Liebe zu den Menschen.
Gerade als Ludolf wieder zur Hütte gehen wollte, sah er Agnes. Sie schlich hinter einem Gebüsch hervor auf den Siek und schaute sich immer wieder um, als würde sie sich versichern wollen, dass ihr keiner folgte. Mit gesenktem Kopf kam sie heran. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Hatte der Anblick der verletzten Marie sie so mitgenommen? Kaum vorstellbar. Vorhin hatte sie sich noch so bestimmt und souverän um die Verletzte gekümmert.
Sie wollte ohne hochzuschauen an Ludolf vorbei durch die Tür huschen. Behutsam versuchte er, ihre Hand zu ergreifen. Sie wollte sich ihm entziehen – es war jedoch nur ein halbherziger Versuch. Sie blieb schließlich auf Armeslänge entfernt vor ihm stehen. Aber sie schaute mit einem leeren Blick an ihm vorbei auf den Boden.
»Agnes. Warte bitte. Was ist geschehen? Ich habe dich schon gesucht.«
»Ich bin müde. Ich will schlafen«, kam es sehr leise.
»Irgendetwas ist doch mit dir. Möchtest du darüber reden?«
»Das ist jetzt unwichtig. Wir müssen morgen zum Bischof.«
»Kann ich dir helfen?«
Endlich schaute sie zum ihm hoch. Ihr Gesicht war wie versteinert. In dem blassen Mondlicht erschien es wie das einer Toten. Ludolf zerriss es fast das Herz. Er fühlte sich hilflos wie ein kleines Kind. Hatte er schon wieder etwas Falsches gesagt oder getan? Bei der Suche nach Marie schien doch noch alles in Ordnung gewesen zu sein.
Als könnte Agnes seine Gedanken lesen, sagte sie: »Es hat nichts mit dir oder mit uns zu tun. Ich erkläre es dir später. Versprochen. Aber bitte lass mich nun schlafen.«
»Bitte«, flehte er.
»Später. Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Aber dieses muss ich alleine schaffen. Gute Nacht.«
Ludolf gab verwirrt ihre Hand frei. Er war enttäuscht, dass sie ihm
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