Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
kein Vertrauen schenkte.
Also legten sich die beiden nach einem kurzen Gutenachtgruß in ihre Betten, um einen unruhigen und wenig erholsamen Nachtrest zu verbringen.
Beim Bischof
Donnerstag, 8.9.1384
Agnes und Ludolf setzten am Morgen mit einem der Boote des Dorfes über und banden es ungefähr an der Stelle fest, an der Kuneke schwer verletzt ins Wasser geworfen worden sein musste. Der Weg nach Minden auf der linken Weserseite war tatsächlich kürzer, da der Bogen des Flussarms hier nicht so weit in die Landschaft reichte. Aber er war genauso staubig und ermüdend wie der andere. Zu Anfang ging es an zwei Orten vorbei, die sich linker Hand an den Berg schmiegten, auf dessen Kamm die Inklusin wohnte. Dann weiter an Feldern und Wäldchen vorbei. Irgendwo rechts war immer der Fluss in der Nähe. Man sah ihn nie, nur große Flächen Schilf oder sumpfige Wiesen, auf denen ab und zu krüppelige Weiden wuchsen, und Birken, die mit ihrer hellen Rinde zwischen dem vielen Grün hervorstrahlten.
Danach zog sich der Weg lange mitten durch das sumpfige Gelände. Bei Hochwasser kam hier keiner mehr durch, dann musste man einen ähnlichen Umweg wie beim östlichen Weserarm machen. An einigen Stellen erkannte man noch sehr deutlich, dass vor Jahrzehnten hier nur ein einfacher Knüppeldamm gewesen war. Ab und zu schauten ein starker Ast oder ein Stamm aus dem Staub und Kies hervor, entweder schon morsch und fast verfault oder mit Kerben von den Rädern hunderter Fuhrwerke. In Sichtweite der Stadt gab es noch zwei kleine Ansiedlungen von gerade mal drei oder vier Hütten.
Agnes war heute sehr still. Den ganzen Morgen über hatte sie noch nicht gesungen. Nach dem Aufstehen pflegte sie sonst zu pfeifen und summen. Was war in der Nacht vorgefallen, als sie für einen Moment verschwunden gewesen war?
Je näher die beiden der Stadt kamen, umso mehr Leute waren unterwegs. Es fuhr eine ganze Reihe von Fuhrwerken auf der Straße. Einige beladen mit Bauholz oder Steinen, andere mit Kisten, Ballen, Säcken und Fässern. Daneben schoben auch einige Bauern oder Tagelöhner ihre Handkarren voller Gemüse und gefüllter Körbe. Erst kurz vor der Stadt holte Agnes ihr Kopftuch wieder hervor und legte es an. In der Stadt und beim Bischof gehörte sich das einfach so. Der Anstand und die Form mussten in der Öffentlichkeit gewahrt bleiben.
Agnes und Ludolf kamen nun von der entgegengesetzten Seite nach Minden hinein. Sie gingen über die Holzbrücke, die den Graben der Stadtbefestigung überspannte, und am Heilig-Geist-Hospital vorbei in Richtung des schon bekannten Simeonstors. Es war noch kein voller Tag vergangen, seitdem sie hier erfahren mussten, dass Kuneke tot war.
Als sie an dem Haus des Tuchhändlers vorbeikamen, stöhnte Agnes leise auf. Die Erinnerung an die Erlebnisse des gestrigen Tages, stürzte mit Macht auf sie ein. Das Rathaus mit seinem Laubengang, der mit wuchtigen Pfeilern und dazwischenliegenden zierlichen Rundbögen gestaltet war, beherrschte den Marktplatz und demonstrierte die Macht der Bürger. Einige Schritte weiter standen die beiden vor einem Tor. Der Bezirk um den Dom herum – die Domburg oder auch Domfreiheit – war von einer etwa sechs Ellen hohen Mauer umgeben.
Ludolf sprach eine Wache am Tor an. Sie wurden zu einem größeren Gebäude geschickt, das an die linke Seite des Doms angebaut worden war. Dort wiederholten sie bei einem Geistlichen ihren Wunsch, den Bischof zu sehen. Zur Bestätigung zeigten sie das Dokument, das Otto III. von Minden ihnen ausgestellt hatte. Der Pater führte sie in einen kleinen Raum und bat sie, einen Augenblick zu warten.
Sie waren aufgeregt. Jetzt sollte sich entscheiden, wie die Suche nach Kunekes Mörder weiterging. War der Bischof mit der Verhaftung des Schmieds zufrieden oder durften sie noch einen letzten Versuch unternehmen, das Geheimnis zu lüften?
Agnes stand am Fenster und schaute durch die milchigen Glasscheiben. Sie dachte an die gestrige Nacht. Hoffentlich würde der Bischof ihr einen Rat geben können. Ob Ludolf ihre Empfindungen aber verstanden hätte? Könnte er ihren seelischen Schmerz nachempfinden? Sie wollte ihm nach der Unterredung mit dem Bischof sagen, was sie bedrückte. Im Moment konnte er ihr nicht helfen.
Ludolf ging nervös im Zimmer auf und ab. Er hatte schlecht geschlafen, eigentlich fast gar nicht. Ihn bewegte so vieles: Die Sorge um Agnes, die Wut über den Amtmann und die Enttäuschung, dass sie Kuneke nur tot gefunden hatten.
Plötzlich
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