Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
öffnete sich die Tür und ein etwa sechzigjähriger Mann trat ein. Er trug eine Planeta 29 aus dunkelrotem Damast mit Verzierungen aus Gold und schimmernder Seide, darunter ein besticktes, weißes Leinengewand. Der Kopf war jedoch unbedeckt, kein Hut, der die Stellung des Trägers symbolisierte. Er blieb an der Tür stehen und musterte die beiden Besucher. Seiner Würde entsprechend erwartete er eine angemessene Begrüßung.
Agnes ging sofort auf ihn zu und machte einen tiefen Knicks. Sie beugte sich zu der dargebotenen Hand und küsste ehrerbietig den Ring. »Dominus vobiscum!« 30
»Et cum spiritu tuo 31 , meine Tochter.«
Während sie langsam und mit gesenktem Kopf wieder aufstand, blickte der Bischof auf Ludolf.
Agnes bedeutete ihm unauffällig, dass er näherkommen und die dargebotene Hand küssen sollte. Aber der junge Mann beugte sich lediglich leicht vor und wünschte einen guten Tag.
Bischof Otto zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Es ist für mich immer wieder aufschlussreich zu sehen, wie sich unterschiedliche Erziehung bei Herangewachsenen doch so prägnant äußert. Der eine lernt Gehorsam, ist fleißig und in den heiligen Schriften gut bewandert, ein wertvoller Edelstein für unsere Mutter Kirche. Der andere lernt Geld zählen und sieht nur die Natur, die ja auch durch unseren Schöpfer ins Dasein kam.«
Ludolf lehnte es ab, einigen Menschen, in diesem Fall einem Geistlichen, mehr Ehrerbietung entgegenzubringen als anderen, normal Sterblichen. Auch Geistliche oder Adelige waren nur Menschen, genauso unvollkommen und fehlbar wie jeder andere. Nur weil sie aus reicheren Familien stammten oder die Unterstützung von irgendeinem Gönner hatten, waren sie in diese Stellung gekommen. Wäre dieser Otto in der Kate eines Tagelöhners geboren worden, würde er jetzt vielleicht Schweine hüten oder einen Abort leeren müssen.
»Es ist gut, wenn es solche Unterschiede gibt«, Ludolfs Antwort kam sehr freundlich. Er schaffte es sogar zu lächeln.
»Wie meint Ihr das, junger Mann?«
»Gott liebt die Vielfalt. Er hat uns alle unterschiedlich gestaltet und uns verschiedene Gaben gegeben. Der heilige Paulus schrieb deshalb an die Versammlung in Korinth:
Denn der Leib besteht ja nicht aus einem Glied, sondern aus vielen. Wenn der Fuß sagen sollte: Weil ich nicht Hand bin, bin ich kein Teil des Leibes, so ist er nicht deshalb kein Teil des Leibes. Und wenn das Ohr sagen sollte: Weil ich nicht Auge bin, bin ich kein Teil des Leibes, so ist es nicht deshalb kein Teil des Leibes. Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo wäre der Geruchssinn? Nun aber hat Gott die Glieder am Leib gesetzt, jedes von ihnen so, wie es ihm gefallen hat
.«
Lächelnd gab sich Otto geschlagen: »Ihr habt recht. Wo kämen wir hin, wenn alle nur Priester oder Nonnen wären.«
Aber er kam schnell zu dem Anlass seiner Einladung. »Der Amtmann hat das Rätsel gelöst und den Mörder verhaftet. Dieser Schmied schmort schon im Kerker und wird in der kommenden Woche verurteilt. Damit ist Euer Auftrag beendet, und Ihr dürft wieder nach Möllenbeck zurückkehren.«
»Wir sind aber nicht überzeugt, dass der Schmied der Mörder ist.«
Der Bischof schaute Ludolf ungläubig an. »Wieso das nicht?«
»Der Amtmann glaubt, den Mörder zu haben. Aber wir bezweifeln das.«
»Es spricht doch alles gegen den Schmied. Der Kerl war eifersüchtig. Und weil die Witwe ihn nicht erhörte, hat er sie erschlagen. Der Amtmann hat sogar einen Augenzeugen dafür.«
»Pater Anno von Dankersen und ich haben mit der Augenzeugin, einer Magd auf der Burg, gesprochen. Sie ist sich keineswegs sicher, ob es Dietrich war, den sie gesehen hat. Es war schon Abend und wurde dunkel. Es hätte jeder beliebige Mann sein können. Gekränkt darüber, dass der Schmied sie zurückwies, hat sie ihn in dem Mörder mehr vermutet als wirklich erkannt. Der Amtmann Resenbach hat die Frau zu dieser Aussage gezwungen und Euch einen nicht haltbaren Bericht gegeben.«
»Was?« Der Bischof war fassungslos. »Wie kann er es wagen, mich so zu belügen! Ich werde ihn zur Rede stellen und streng bestrafen, sollte es so sein, wie Ihr sagt!«
Agnes trat vor. »Euer Hochwürden, ich möchte Euch bitten, damit noch ein wenig zu warten. Vielleicht sollten wir ihn in Sicherheit wiegen, bevor wir etwas gegen ihn unternehmen. Außerdem haben wir noch einiges zu berichten, das Ihr bestimmt noch nicht wisst.«
»Was denn noch, liebes Kind?«
Sie
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