Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Pater seufzte und machte ein sorgenvolles Gesicht. »Ja, ja. In diesen harten Zeiten werden immer wieder welche zum Herrn berufen.«
Agnes ergriff die Gelegenheit beim Schopf: »Wie wir gehört haben, ist die Frau des vorherigen Amtmanns auch vor Kurzem verstorben.«
»Verstorben? Da müsst Ihr etwas falsch verstanden haben. Sie ist einfach verschwunden. Keiner weiß, was mit ihr geschehen ist. Die Arme, ihre beiden Kinder sind nun ohne Mutter. Viele Nachbarn beten für sie, dass sie wieder heil und gesund auftaucht.«
»Sind die Kinder denn versorgt?«
Der Pater erklärte, dass die Kinder von Kunekes Mutter versorgt wurden, die auch schon vor jenem unseligen Sonntag bei ihnen wohnte. Natürlich waren die Kinder traurig, vermissten ihre Mutter sehr. Die Nachbarn halfen so gut es ging, beispielsweise beim Füttern und Versorgen der Tiere der Familie.
»Wollt Ihr die arme Frau nicht einmal besuchen? Ihr, die Ihr eine Erziehung im Stift genossen habt, vermögt bestimmt, die passenden tröstlichen Worte zu finden. Es muss schlimm sein, die Tochter zu verlieren, nicht zu wissen, welches Schicksal sie ereilt hat. Und sich dann in ihrem Alter noch um Enkel und Hof zu kümmern!«
Agnes nickte. »Das mache ich gerne. Einen lieben Angehörigen zu verlieren, ist immer ein Schicksalsschlag.«
»Ja. Und Kuneke war so ein liebenswerter, guter Mensch, so gläubig und hilfsbereit. Sie brachte jede Woche Speise und andere Kleinigkeiten zur Nonne auf der Wittekindsburg. Drüben auf dem anderen Berg. Ich sah sie noch, als sie an diesem tragischen und unglückseligen Nachmittag zur Weser hinunterging. Das machte sie jeden Sonntag. Aber von diesem Ausflug ist sie nicht zurückgekehrt.«
Die junge Frau wurde hellhörig. Der Pater hatte die verschwundene Witwe also noch gesehen. Wusste er noch mehr? »Eine Nonne auf einer Burg?«
»Es ist keine Burg wie unsere Schalksburg hier, sondern eine uralte Anlage, die vor Jahrhunderten von den Bewohnern der Umgebung als Fluchtburg gebaut wurde. Aber außer ein paar Wällen ist nicht mehr viel übrig.«
»Ist Kuneke denn bei der Nonne angekommen?«
Der kleine Geistliche überlegte und verzog seinen Mund. Er kratzte sich seine geschorene Kopfhaut. »Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob schon jemand dort nachgefragt hat.«
»Hat denn überhaupt einer dem Amtmann gesagt, dass Kuneke hinüber wollte?«
Anno von Dankersen legte die Stirn in Falten. »Mir ist nicht bekannt, ob jemand mit dem Amtmann darüber gesprochen hat. Ich glaube, ich bin der Einzige, der Kuneke auf ihrem Weg zur Wittekindsburg gesehen hat. Es ist schrecklich!« Der runde Mann trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er faltete die Hände und schloss die Augen, als wollte er ein kurzes Stoßgebet zum Himmel senden. Er murmelte kurz einige Worte vor sich hin und bekreuzigte sich anschließend. »Ich habe dummerweise nichts gesagt. Sonst hätte man auf der anderen Weserseite gesucht und die arme Frau gefunden. Ich dachte einfach, das würde man sowieso tun. Lieber Herrgott, wie soll ich mit dieser Sünde leben?«
»Aber, Pater, Euch trifft keine Schuld! Der Schmied erzählte gestern meinem Mann, dass man auf der anderen Weserseite suchen wollte, dass dies aber von dem Amtmann verhindert wurde.«
Anno von Dankersen schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Ist das Euer Ernst?«
»Ja! Bitte macht Euch keine Vorwürfe!« Agnes konnte den Priester nach und nach beruhigen. »Ging Kuneke. an dem Sonntag allein zur Nonne oder war sie in Begleitung?«
»Mir ist niemand aufgefallen. Sie ging meistens allein.«
»Ist ihr vielleicht jemand gefolgt? Unter Umständen hat derjenige ja mehr gesehen.«
»Nein. Äh ... Moment, bitte.« Der Pater kratzte sich die Tonsur. »Eigentlich kann ich das gar nicht sagen, weil ich überhaupt nicht darauf geachtet habe. Woher sollte ich wissen, dass das jemals wichtig sein würde? Resenbach hatte sie nach der Messe aufgehalten. Worum es ging, weiß ich nicht. Er war jedenfalls ziemlich wütend. Er drohte ihr, sie werde ihres Lebens nicht mehr froh werden. Ihr Schwager trat dazwischen, da verzog sich der Amtmann. Das war kurz vor der Mittagszeit. Aber da war doch noch irgendetwas?« Er überlegte krampfhaft. Plötzlich klatschte der Pater in die Hände. Hektisch sprudelte er hervor: »Ich bin doch nicht so vergesslich, wie ich dachte. Der Schmied, Dietrich Wiegand. Den habe ich gesehen. Jawohl. Unten am Ufer bei den Booten. Da war er. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich sehe
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