Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Dann war Schluss mit dem Leben im Stift, und es ging zurück zu Mutter und Vater. Zur Strafe würde sie sicherlich auf dem elterlichen Hof arbeiten müssen, bis sich ein Ehemann fände. Sie war jetzt schon vierundzwanzig Jahre alt. Die meisten Männer wollten jüngere Ehefrauen, die noch genug Kinder zur Welt bringen konnten. Da würden für Agnes doch nur ein alter Mann oder ein hässlicher Bursche übrig bleiben, denen man sonst keine Tochter anvertrauen wollte. Ihren Platz im Stift wollte sie auf keinen Fall aufs Spiel setzen. »Na gut. Ich will ja nicht, dass du noch Ärger bekommst. Nur deswegen erzähle ich dir von meinem Gespräch.« Während Agnes die fertige Suppe auftrug, erzählte sie von den beiden Frauen.
Ludolf holte einen Laib Brot aus der mitgebrachten Kiste mit den Lebensmitteln. Er schnitt einige Scheiben ab und stellte Butter dazu. Jetzt erst fiel ihm auf, dass ein Becher mit Löwenzahnblüten auf dem Tisch stand. Ein schöner Farbtupfer in dieser erbärmlichen Hütte. Agnes schien Löwenzahn zu mögen. Von Frühjahr bis Herbst hatte sie in Möllenbeck eigentlich ständig irgendetwas Gelbes im Unterrichtsraum stehen oder eine Blüte an ihrem Kragen.
Die jungen Leute setzten sich an den Tisch zum Essen. Agnes murmelte ein Gebet und bekreuzigte sich.
Ludolf beobachtete es ein wenig beschämt und betete ebenfalls, aber nur leise und ohne die Hände zu falten. Beide begannen die warme, kräftige Suppe zu löffeln. Das tat gut. Endlich Ruhe.
»Immer wieder der Amtmann«, meinte die junge Frau nach einiger Zeit. »Wurde er auch abgewiesen? Möglich, dass er deswegen Kuneke so schikaniert hat.«
»Das könnte jedenfalls der Grund dafür sein, dass er nicht nach ihr suchen wollte. Nur um es ihr heimzuzahlen. Aber ob er darum auch Schuld am Verschwinden hatte, ist fraglich.«
Schweigend aßen sie weiter.
»Die Suppe schmeckt gut«, lobte Ludolf.
»Danke.«
Agnes holte für beide einen zweiten Teller voll. Ludolf überlegte laut weiter. »Wenn der Amtmann hinter Kuneke her war, kann dann nicht seine Frau eine Rolle spielen? Es wäre in ihrem Sinne, wenn die Nebenbuhlerin verschwindet.«
»Ist er denn verheiratet?«
»Keine Ahnung. Aber wir sollten uns in dieser Sache umhören.«
Als Ludolf seinen Teller geleert hatte, fuhr er fort: »Was hat Resenbach zu verbergen? Oder ist es einfach Hass? Gibt es noch offene Rechnungen aus der Zeit vor dem Tod von Kunekes Mann? Einen alten Streit zwischen dem alten und dem jetzigen Amtmann?«
»Genau. Und aus Rache oder weil er etwas in der Hand hat, übt er Druck auf die Frau aus. Sie hat sich gewehrt, und er hat sie umgebracht. Damit die Leiche nicht gefunden wird, hat er die Suche verhindert. Und wie beweisen wir das?«
»Jemandem einen Mord nachzuweisen, wenn man weiß, dass nur dieser eine es sein kann, ist eine einfache Sache. Aber wenn es mehrere Verdächtige gibt, müssen alle überprüft werden. Und wer weiß schon, ob nicht jemand vergessen wird. Wie es scheint, müssen wir hier mit einigen möglichen Übeltätern rechnen.«
Agnes nickte. Auch der Schmied hatte offensichtliche Beweggründe. Er war verärgert, weil sein Werben abgewiesen worden war, hatte Kuneke sogar gedroht. Agnes und Ludolf waren sich einig, dass Jähzorn und Eifersucht eine höchst gefährliche Mischung bildeten. Ihm war zuzutrauen, dass er in einem unbeherrschten Augenblick Kuneke etwas angetan hatte.
Ludolf musste grinsen. Ihm gingen schon wieder lästerliche Gedanken durch den Kopf.
»Was ist?«, fragte Agnes überrascht.
»Wenn es rein nach dem Aussprechen von Drohungen gehen würde, gäbe es sicher viel mehr Morde. Nach deinem Blick zu urteilen, hättest du mich schon öfters erschlagen. Heute schon mindestens dreimal.«
»Damit hätte ich aber der Menschheit einen Gefallen getan. Der Papst hätte mich bestimmt zu einer Audienz in Rom eingeladen und mich gesegnet.«
»Der Kaiser würde dich anschließend als Mörderin hinrichten lassen. Und wenn es nur aus Trotz gegen den Papst wäre.«
»Es ist etwas Ehrenvolles, als Märtyrerin sterben zu dürfen. In einigen Jahrhunderten würde ich selig gesprochen, vielleicht später sogar heilig. Kapellen und Klöster würden nach mir benannt«, konterte sie gelassen.
Die beiden jungen Leute lächelten sich an. Sie fühlten sich recht wohl. Die Probleme schienen nicht mehr so schlimm, und man konnte auch über sich selbst lachen.
Agnes war sich plötzlich bewusst, dass Ludolf sie zumindest im Moment nicht anwiderte. Es war so
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