Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Abstand zischen Dudenhausen und sich wieder vergrößern. Sie bemerkte mit Erleichterung, dass es nur noch drei, vier Ellen bis zur Tür waren. Aber die Füße waren schwer wie Blei.
»Warum hat dir die Schlampe unseren Plan verraten? Es war doch ihr Vorschlag, das widerspenstige Weib zu zwingen.«
»Welchen Plan meint Ihr?«
»Halt den Mund!«
Sein Gebrüll war ohrenbetäubend. Das musste doch jemand draußen auf dem Marktplatz hören. Da sollte doch jemand zu Hilfe kommen. Oder waren die Nachbarn diese Schreierei gewohnt? Agnes griff zu der Stelle unterhalb ihres Halses und ertastete durch den Stoff das kleine Kreuz, das ihr die Mutter nach der Ordination im Kloster geschenkt hatte. Rasend schnell murmelte sie das Vaterunser herunter, flehte bei Maria um Beistand in der Not. Sie traute sich nicht, sich umzudrehen und loszulaufen.
»Du weißt ganz genau, was wir mit Kuneke vorhaben. Soll ich jetzt einen Rückzieher machen? Niemals! Oder will sie plötzlich ihr eigenes Haus? Mehr Geld? Los! Sag schon!«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der junge Bursche kam mit drei Ballen Tuch auf dem Arm herein. Er war so beflissen, dass er die Gefährlichkeit der Situation nicht sofort erkannte. »Hier sind die besten Stoffe, die wir haben.«
Jetzt erst bemerkte Edmund die Wut seines Vaters. Verängstigt blieb er stehen. Dudenhausen wandte sich ihm zu und funkelte ihn an. Erschrocken ließ der Junge die Stoffe fallen. Die Ballen polterten dumpf zu Boden.
»Raus!«, schrie Dudenhausen.
»Verzeihung bitte«, kam es mit einer dünnen, ängstlichen Stimme. Mit zitternden Händen wollte der Junge die Ballen wieder aufheben, aber sein Vater brüllte los: »Scher dich raus! Auf der Stelle! Oder soll ich dich rausprügeln?«
Völlig verstört stolperte der Sohn hinaus und schloss schnell die Tür hinter sich. Am ganzen Körper zitternd drückte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, als hätte ihn ein wildes Tier oder ein Straßenräuber in die Enge getrieben. Als der Händler wieder anfing zu schreien, hielt er sich die Ohren zu. Er schloss die Augen, in denen sich Tränen sammelten. Schlimme Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Erinnerungen an schmerzliche, bittere Augenblicke. »Mutter, Mutter«, murmelte er immer wieder leise vor sich hin.
Beim Bader
Ludolf erklomm die Treppe gegenüber dem Rathaus, um in den höhergelegenen Teil der Stadt zu gelangen, der durch eine große Stützmauer vom unteren Teil mit Dom und Marktplatz getrennt war. Wie er von einem Handwerksburschen erfahren hatte, wohnte der Bader Kolraven links von der Treppe im vierten Haus. Oben angekommen stand Ludolf genau vor einer großen Kirche. Das musste St. Martini sein.
Er ging über den Kirchhof zu dem angegebenen Haus. Es unterschied sich in nichts von den anderen hier am Platz. Ein gemauerter Keller ragte ein Stück über die Höhe der Straße hinaus. Gerade so weit, dass durch kleine Maueröffnungen Licht in die tieferen Bereiche des Gebäudes gelangen konnte. Darüber erhob sich ein zweistöckiger Fachwerkbau. Das obere Stockwerk ragte ein wenig weiter als das untere hervor, und im Dach gab es sicher noch zwei übereinanderliegende Zimmer.
Ludolf trat durch die offenstehende Tür in einen Raum, der die vordere Hälfte des Hauses einnahm. An den Wänden standen mehrere Regale voller Gläser, Schüsseln und Tontöpfe. Auf den Gefäßen waren Pergamentzettel befestigt:
Wurzeln Wiesenknöterich gestampft: Durchfall, Wurzeln Sauerampfer: Katarrh, Huflattich: Husten, Wurzeln Wiesenschaumkraut: Entzündungen. Pfeffer, Wacholder, Holunder, Minze, Stechapfel, Tollkirsche
und viele, viele Arznei- und Heilpflanzen mehr. Das alles verströmte einen angenehmen, aromatischen Duft. Einen Wohlgeruch, der den Gestank der verdreckten Straßen vergessen ließ.
Vor den Regalen standen zwei Tische mit weiteren Behältnissen, mit Destillierkolben, gefüllten Leinenbeuteln und Mörsern in unterschiedlichen Größen. Dazwischen eine kleine Waage zum genauen Zusammenstellen der Mischungen. Ludolf fühlte sich hier sofort heimisch. Es war, als wäre er wieder bei seinen Studien. Neugierig wie ein kleiner Junge studierte er die gut gefüllten Regale. Einige der hier gelagerten Essenzen waren in kleinen Mengen heilend, aber in zu großer tödlich. Zum Beispiel wirkten wenige Tropfen eines Extraktes aus Baldrian beruhigend auf das Herz. Eine überhöhte Dosis führte zum Starrkrampf und schließlich zum Tod.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und eine junge
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