Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Damit hatte er nicht gerechnet.
»Bild’ dir bloß nichts darauf ein!«, kommentierte sie die Zärtlichkeit. »Das ist lediglich ein Ausdruck meines Danks. Mehr nicht.«
»Sie hat mich geküsst! Jetzt darf ich mir das Gesicht ja für vier Wochen nicht mehr waschen.«
»Machst du doch sowieso nie.«
Die beiden Streithähne lachten befreit. Die Anspannung und die Aufregung lösten sich endlich. Das Gefühl, dass sie gemeinsam diese gefährliche Lage überstanden hatten, verband. Keiner hatte den Auftrag zusammen mit dem anderen übernehmen wollen. Die Streitereien der Kindheit hatte sie zu weit voneinander entfernt, zu Gegnern und Rivalen gemacht. Zu Anfang der Mission waren sie auch oft genug unterschiedlicher Meinung gewesen. Aber wenn man sich gemeinsam freuen konnte, vergaß man auch alte Feindschaften.
»Euch geht’s also wieder besser«, erklang es plötzlich aus Richtung der Tür. »Zum letzten Mal: Ich will jetzt endlich eine Erklärung haben.« Die tiefe, ärgerliche Stimme des Hauptmanns schnitt die Heiterkeit abrupt ab. Und schon war er wieder verschwunden.
»Wer war das denn?«, fragte Ludolf überrascht.
»Der Hauptmann der Stadtwache. Er ist uns zu Hilfe gekommen. Einer seiner Soldaten hat dir einen Hieb versetzt. Ich erzähle dir später, was alles geschehen ist, während du es frecherweise vorzogst, dich schlafend zu stellen. Ich muss ihm die Briefe des Bischofs zeigen.«
»Klar. Sonst stecken wir am Ende im Kerker.« Ludolf holte die Dokumente hervor, mit denen sie sich und ihren Auftrag ausweisen konnten, und gab sie Agnes. »Erklär’s ihm. Ich glaube, mit meinem Brummschädel muss ich langsam aufstehen. Ich komme gleich nach.«
»Soll ich nicht lieber warten? Nicht, dass du hier wieder umkippst.«
»Nein, nein. Mach schon. Es wird schon gehen.«
Sie zögerte ein wenig, ihn in der Gästestube des Tuchhändlers allein zu lassen. Sie fühlte sich verantwortlich. Als er ihr noch mal zunickte, stand sie schließlich auf, um Wolfram von Lübbecke den geforderten Bericht zu geben. Ludolf sollte sich ruhig Zeit lassen. Inzwischen wollte sie in Ruhe mit dem Soldaten reden.
Den Mörder gefunden
Ludolf erhob sich schwerfällig. Ihm war schwindelig, und sein Kopf dröhnte. Er stützte sich auf dem Tisch ab. Langsam wurde es besser. Er griff zum Krug mit dem Wein und nahm einige große Schlucke. Hoffentlich betäubte der Trank das Brummen bald. Ein paarmal tief durchgeatmet, und er konnte sich wieder aufrichten. Durch die Tür hörte er die Stimme von Agnes. Als er die Tür öffnete, sah er Agnes, die neben dem Hauptmann auf einer Holzbank im hinteren Bereich des Hauptraums saß. Sonst war niemand anwesend. Der Soldat hielt ein Dokument achtlos in den Händen. Das musste wohl der Brief vom Bischof sein. Aber der Brief schien wohl nicht so wichtig wie die junge Frau, die er unverwandt ansah. Er war groß und kräftig, machte aber einen ungepflegten Eindruck. Unrasiert, zerzaustes, viel zu langes Haar, ein rostiger und verbeulter Harnisch, schmutzige Hosen mit Löchern und gammelige Stiefel. Das sollte ein Hauptmann sein? Doch Agnes gefiel er offensichtlich. Mit großen Augen schaute sie ihn an und redete und redete. Erzählte von ihrem Auftrag und den Ergebnissen ihrer Suche. Sichtlich aufgeregt drehte sie wieder an den Knöpfen ihres Kleides.
Ab und zu nickte der Soldat oder brummte zustimmend, aber sein Blick wanderte immer wieder an ihr herauf und herunter, als schätzte er den Wert eines Pferdes ab, das er kaufen wollte. Endlich sagte er auch etwas: »Und das steht im Brief?«
»Ja. Das könnt Ihr darin nachlesen.«
»Lesen? Was für ’ne Zeitverschwendung! Es reicht doch völlig, wenn man sein’ Namen schreiben kann. Alles andere verdirbt nur den Verstand. Wer von den Gelehrten hat denn Ahnung vom richtigen Leben? Dadurch werde ich auch nicht besser kämpfen können.«
Agnes’ Lächeln fiel plötzlich in sich zusammen. Mit solch einer Antwort hatte sie zuallerletzt gerechnet. Als Hauptmann konnte er sich doch unmöglich auf solch einer niedrigen Stufe wie ein einfacher Soldat bewegen. Ihr Tonfall wurde schnippisch. »Ich finde es sehr anregend, wenn ich in Büchern etwas über andere Länder, andere Menschen und ihre Gedanken über Gott lesen kann.«
Der Hüne lachte auf. »Ach, ja. Als Nonne müsst Ihr ja lesen lernen und an Gott glauben. Ich habe gerne meine Freunde um mich herum, nette Gesellschaft, gutes Essen und ein süffiges Bier oder einen würzigen Wein. Das ist auch anregend
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