Die Herzen aller Mädchen
eigentlich nichts Gefährliches herumliegen. Enno hatte ihr gebeichtet, er habe eines Nachts den Schlüssel zu dem kleinem Stahlspind genommen, in dem Bettina ihre Waffe verschloss, und sich so mit Patronen bedient, und leider war das eine Möglichkeit, die ihm Bettina nur schwer nehmen konnte, denn wo immer sie auch etwas einsperrte, den letzten Schlüssel musste sie doch bei sich behalten, und im Schlaf konnte sie darauf nicht aufpassen. Heute aber war zumindest das nicht ihr Problem: Sie saß hellwach da und konnte nur auf den Morgen warten. Ergeben nahm sie ihre letzte Zigarette aus dem Päckchen, legte sie vor sich auf den Küchentisch, um jederzeit die Gewissheit zu haben, dass noch Nikotin vorhanden war, dann schaltete sie das Radio ein, stellte es leise und griff sich Johnny Montes’ erste Mission. Wenn sie Anna Oberhuber schon nicht besuchen durfte, dann würde sie wenigstens ihr Buch lesen und auf die Art ein Gefühl für die Frau bekommen.
Sechs
Der nächste Morgen begann sowohl für Bettina als auch für Gregor Krampe an einem Küchentisch: Bettina dämmerte mit dem Kopf auf dem schwarz glänzenden Schmöker und wurde geweckt, als ihre süße Sammy sie am Ärmel zupfte, um dann einfach schlaftrunken auf Bettinas Schoß zu klettern. Gregor dagegen war mitten in der Nacht aufgewacht und tigerte seither zwischen der Couch und seiner unbenutzten Junggesellen-Edelstahl-Kochnische auf und ab und ruhte nur zuweilen an der hohen Frühstücksbar, um einen Schluck aus einer schweren Mokkatasse zu nehmen. Er hatte fertig gepackt, die Tickets organisiert und musste nur noch die Zeit bis zur Abfahrt totschlagen. Trotzdem war Gregor nervös und ungeduldig und hätte am liebsten sein Gepäck genommen und wäre raus auf die Straße gerannt. Er musste etwas tun, um nicht zu denken. In dieser Nacht hatte er von Johnny Montes geträumt, dem blonden, pfiffigen Johnny, der nie versagte. Johnny hatte ihm ungefragt mitgeteilt, dass er die süße Bianca rumgekriegt hätte. Und auch wie: Er hätte sie gepackt und ganz fest gehalten. Das funktionierte immer. Die kleine Zicke hätte in seine Arme sinken müssen. Bestimmt hätte sie sich gewehrt, doch das taten sie alle. Er hätte ihr sein zynisches Agentenlächeln entgegengehalten und seine Lippen fordernd auf ihre gedrückt und dann hätte Gregor mal sehen sollen, was da passiert wäre! Eine Sorge weniger, eine Weide mehr abgegrast.
Sehnsüchtig dachte Gregor an die ferne Bianca, die nicht seine war, die charmanteste Frau, das Luftwesen, und er hielt sich den Kopf. Johnny Montes war eine verdammte Landplage.
Genau dasselbe sagte sich zur gleichen Zeit auch Bettina, deren sämtliche Glieder von der Nacht am Tisch schmerzten. Hundert Seiten hatte sie mit Johnny Montes verbracht, und sie hatte ihn nicht lieb gewonnen. Er dachte komische Dinge. Er sagte Sachen wie: »Gnädigste« und »Flossen hoch«, er explodierte ständig vor Lust, ließ seine Gegner unter ihrer Sonnenbräune erbleichen, dann wieder wurde er sentimental angesichts endloser Sonnenuntergänge am Meer, die »wunderschön« und »magisch« waren, aber von einer unterschwellig unbehaglichen Atmosphäre getragen wurden. Und schließlich war da noch das kleine Mädchen, eine gewisse Angelina, die von Johnny aus der tosenden Brandung des Tyrrhenischen Meers gerettet wurde, ein blondes, altkluges Wunder von vier Jahren, die immerhin ihre lichten Momente hatte, wenn sie zum Beispiel zu Johnny sagte: »Du riechst aus dem Mund!« Das war mal ein authentischer Satz, den eine Vierjährige bedenkenlos jedem noch so aufgeblasenen Schnösel vor den Latz knallen würde! Andererseits riss das Thema Körperausdünstungen eben nicht unendlich lange mit, auch wenn es sich um die gleichsam veredelten eines Superagenten handelte. Und kein Mundgeruch der Welt konnte einen Kerl, der nur mit gezogener Knarre oder herabgelassener Hose auftrat, liebenswerter machen, fand jedenfalls Bettina. Sie schickte Sammy Zähne putzen, räumte das Buch fort, gähnte und schüttelte die Nacht ab. Dann schaltete sie die Kaffeemaschine an und deckte den Frühstückstisch.
Gregor indessen schaltete seine Kaffeemaschine aus. Die Lösung war einfach: Er würde das Haus verlassen. Er hielt das Warten nicht aus, also musste er gehen. Er brauchte bessere Luft und besseren Kaffee und eine dicke Zeitung, dann saß er nicht wie bestellt und nicht abgeholt am Fenster herum. Er schnappte sich seinen Mantel, seinen Schlüssel und sein Portemonnaie und
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