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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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gespeicherten Fingerabdrücken aus den gesamten Vereinigten Staaten zu bekommen. Nicht alles war schlecht in den USA. So ein Wunderpalm war echt was anderes als die langen Anträge, die sie wegen eines einzelnen Fingerabdrucks an die Spurensicherung und das LKA schreiben musste. Nur die Leute vom Bundeskriminalamt, die hatten sich vielleicht schon das eine oder andere von den Kollegen drüben abgeguckt. Das BKA wusste mehr.
    Bettina seufzte.
    Und dann ahnte sie, dass auch sie mehr wusste. Plötzlich war sie hellwach, zog ihre dicke Akte aus der Tasche und breitete die Papiere neben dem Computer aus. Aufgeregt schob sie Blätter herum, beugte sich stehend über den Tisch wie Nessa Kaiser. Sie besaß doch Anna Oberhubers Meldebogen! Kein spektakuläres, doch für eine normale Polizeiakte ungewöhnliches Dokument. Denn der Meldebogen war lediglich die Grundlage für die Datenerfassung der Polizei. Er wurde vom jeweiligen Einwohnermeldeamt geführt und von dort aus in den polizeilichen Datenpool Ewois eingespeist. Für normale Beamte war der Meldebogen nur theoretisch einsehbar. Er enthielt zwar kaum mehr Informationen als Ewois, doch in diesem Fall waren sie wesentlich: Ein Meldebogen führte die nächsten Angehörigen auf. Samt Geburts- und Sterbedaten. Geschwister, stand dort auf dem Papier, das Bettina in Händen hielt. Angelina Ritrovato, geboren 27.7.1962 in Rom, Italien, gestorben 12.6.1966 ebenda.
    Anna Oberhuber hatte die kleine vorwitzige Buchheldin nach ihrer Schwester Angelina genannt. Und Angelina war im Sommer 1966, als sich zufällig auch das Ehepaar Krampe in Rom aufhielt, ausgerechnet vierjährig dort gestorben.
     
    * * *
    »Sie werden«, zischte Jaecklein bedrohlich, »mir erzählen, wie das mit der Bombe war. Und zwar haarklein.«
    Er wirkte auf einmal viel größer und baute sich gefährlich vor Anna auf. Ihr psychologischer Vorteil war dahin. Sie befürchtete, dass er sie trotz der Dunkelheit im Raum zittern sah. »Ich weiß nichts davon«, sagte sie ängstlich.
    »Frau Oberhuber. Wir haben Ihre Fingerabdrücke auf der Postkarte identifiziert. Sie wurden schon vor Jahren erkennungsdienstlich behandelt. Vorbestraft sein ist sauschlecht fürs Karma.« Jaecklein grinste bösartig. »Haben Sie denn gar nicht gewusst, dass ich heute komme? Sie sind doch Hellseherin, oder?«
    Anna schluckte und setzte sich gerader hin. Haben Sie mich nicht vorausgesehen, den Hohn kannte sie. Er bedeutete, dass Jaecklein nicht ganz so sicher war, wie er tat. »Ich hab es befürrchtet«, erwiderte sie ruhiger.
    Rasch beugte Jaecklein sich tiefer zu ihr, sodass die Kerze flackerte und komische Schatten an die Wand warf. »Und dazu brauchten Sie nicht mal Hellseherei, was?«
    Anna sah seine dunklen Augen und die Goldkronen seiner Backenzähne. Er hielt den Mund ein wenig geöffnet und nickte. Es sah gruselig aus.
    »Wir wissen eine Menge über Sie, Frau Oberhuber«, zischte er in ihr Gesicht. »Neunzehnhundertsechsundsechzig im Juni, da haben Sie am Strand von Ostia Ihre Schwester verloren. Angelina.« Den Namen dehnte er genüsslich. Dafür hätte Anna ihn am liebsten geschlagen. Jaecklein schien das zu ahnen. Er richtete sich auf und sah auf sie herab. »Angelina und Anna. Ihre Schwester war vier Jahre alt, als sie starb, Sie sieben, und davor waren Sie glücklich.« Seine Wange zuckte. »Ihr Leben war nett. Das beste. In Italien scheint den ganzen Tag die Sonne. Aber nach Angelinas Tod trennten sich Ihre Eltern. Sie mussten mit der depressiven Mutter nach Deutschland. Ihre Schwester war ertrunken, Ihr Vater verließ sie, und plötzlich fanden Sie sich hier in einem kalten fremden Land, wo Sie auf Almosen von Verwandten angewiesen waren. Vermutlich sind Sie’s jetzt noch. Schauen Sie sich an: Wahrsagerin! Sie sind vorbestraft und versuchen sich auf einem überschuldeten alten Hof mit diesem Personality- und Bioquatsch durchzubringen. Sie sind eine verdammt armselige Existenz.« Wieder beugte er sich herab und bohrte seinen starren Blick in den ihren. »Doch Sie hätten es anders haben können, nicht wahr? Sie hätten die süße Tochter Ihres erfolgreichen Vaters bleiben können. Ein Kind mit normaler Familie, ein Mädchen mit Chancen, eine glückliche Frau. Jemand hat Ihnen dies Leben gestohlen, als Sie sieben waren. Und dieser Jemand sollte jetzt endlich dafür bezahlen, hab ich recht?«
    Anna fühlte sich schwindelig. Ihr war, als ob sie einen Meter entfernt neben sich stünde. »Nein«, sagte sie und spürte ihre Lippen

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