Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
Raums studierte, die einer alten französischen Taverne entstammte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Susannah kühl und kein bisschen hilfsbereit.
Zu ihrer Verblüffung sprang er nicht verlegen auf. Doch zumindest nahm er seine Füße vom Schreibtisch und taxierte sie. In ihrer Welt war er so offensichtlich fehl am Platz, dass sie ihn halb unbehaglich, halb fasziniert anstarrte. Er trug eine abgewetzte Lederjacke und ein schwarzes T-Shirt, und sein Haar zeigte nicht die modische Länge, die ein karrierebewusster Yuppie bevorzugen würde, sondern ein Apache. Schnurgerade wie eine Messerklinge fiel es hinab, bis es auf die Schultern traf. Vielleicht war er etwa ein Jahr jünger als sie – und unverschämt. Auch das konstatierte sie. Die Wangenknochen waren hoch und flach, die Lippen
dünn. Aber vor allem erregten seine Augen ihr Interesse: harte schwarze Pupillen mit braunen Flecken – und unbeschreiblich ordinär.
Darin las sie keine wollüstige Vulgarität. Er versuchte sie nicht mit seinem Blick auszuziehen. Ebenso wenig musterte er ihren Körper. Stattdessen erkannte sie die ordinäre Intensität eines Ausdrucks, der sich für eine so kurze Bekanntschaft nicht schickte.
»Da Sie meine Frage nicht beantworten, muss ich Sie bitten zu gehen«, sagte sie.
»Sobald ich mit Joel Faulconer gesprochen habe, verschwinde ich.«
»Er ist unabkömmlich.«
»Das bezweifle ich.«
Warum schaute er sie an, als wäre sie eine exotische Spezies aus dem Zoo? »Wenn Sie mit ihm reden möchten, sollten Sie in seinem Büro anrufen und sich einen Termin geben lassen.«
»Darum habe ich mich bereits mehrmals bemüht. Aber das Biest, das sich dort meldet, wimmelt mich immer hartnäckig ab.«
Ihre Stimme klang nicht mehr kühl, sondern frostig. »Tut mir Leid, da kann ich nichts machen.«
»Scheiße.«
In ihrem Hals begann ein schwacher Puls zu pochen, als er langsam aus dem Ledersessel aufstand. Sie wusste, sie müsste um Hilfe rufen. Doch sie hatte es satt, mit übergewichtigen Contessas und gichtkranken Vizepräsidenten zu schwatzen. Wäre es so schlimm – oder gefährlich –, ein paar Minuten zu warten und herauszufinden, was der dreiste Fremde beabsichtigte, der in die Bibliothek ihres Vaters eingedrungen war?
»Dass Sie behaupten, Sie könnten nichts machen – das ist Scheiße .«
»Bitte, gehen Sie.«
»Wer sind Sie? Seine Frau, seine Tochter? Selbstverständlich können Sie tun, was Sie wollen.« Er schnippte mit den Fingern. »Einfach so! Also arrangieren Sie gefälligst ein Gespräch zwischen Joel Faulconer und mir.«
Susannah hob ein wenig das Kinn, so dass sie gewissermaßen auf ihn herabschaute – in jener unverhohlen abweisenden Art, die ihr Vater so perfekt beherrschte. »Ich bin seine Tochter Susannah. Heute Abend gibt er eine Party.« Warum hatte sie ihren Namen verraten? Was war denn in sie gefahren?
»Okay, dann unterhalte ich mich morgen mit ihm.«
»Ich fürchte, das ist nicht möglich.«
»Heiliger Himmel!« Angewidert schüttelte er den Kopf. »Als Sie vorhin hereinkamen – in den ersten Sekunden hatte ich das Gefühl ...« Abrupt verstummte er – als hätte er die ersten sieben Töne von Beethovens Fünfter auf einem Klavier angeschlagen und den achten ausgelassen.
Sie wartete. Über ihren Brüsten hoben und senkten sich die weißen Organdyrüschen. Sie fürchtete sich so sehr, dass ihre Handflächen schwitzten. Aber sie war auch erregt, und das erschreckte sie noch mehr. Nur zu gut wusste sie, wie schnell eine Katastrophe aus heiterem Himmel hereinbrechen konnte – sogar an einem sonnigen Junitag, hinter einer Clownsmaske hervor. Trotzdem konnte sie sich nicht zwingen, aus der Bibliothek zu fliehen und Hilfe zu holen. Vielleicht lag das an einer Nachwirkung ihres Treffens mit Paige. Oder an den vielen Abenden, die sie mit wesentlich älteren Menschen verbrachte.
»Welches Gefühl?« Wie aus eigenem Antrieb kamen ihr die Worte über die Lippen. Ausgerechnet sie, die normalerweise niemals so impulsiv sprach ...
Ohne sie aus den dunklen Augen mit den Bernsteinflecken zu lassen, ging er um den Schreibtisch herum. Beinahe
war seine leise, ausdrucksvolle Stimme ein Flüstern. »Ein Gefühl, Sie würden mich verstehen.«
In einer anderen Welt spielte das Streichquartett. Susannahs Mund war ganz trocken. »Was soll ich verstehen?«
Jetzt glitt sein Blick über ihre Gestalt, unverfroren und anzüglich, als würde nur er die Sinnlichkeit erkennen, die sich hinter ihrer kühlen
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