Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
rastlos, als sie in der Limousine saß, und schlug ein weniger elitäres Lokal vor. Sie erinnerte sich an einen Regentag, den sie vor einigen Jahren in Paris verbracht hatte. »Macht’s dir was aus, wenn wir ins La Coupole gehen? Klar, das ist nur eine Brasserie, dafür sind wir zu vornehm angezogen. Aber es würde uns sicher Spaß machen.«
Skeptisch schaute er sie an. In diesem Moment glich er ihrem Vater. »Bist du etwa in deiner albernen Montparnasse-Stimmung?« , hänselte er sie. Rings um seine leuchtend blauen Augen vertieften sich die Fältchen.
Weil sie seine freudige Erregung spürte, lächelte sie zurück. Zweifellos hatte er eine grandiose Story auf Lager – über irgendein brillantes Manöver, das ihm bei den Verhandlungen mit den französischen Herstellern gelungen war. Wie attraktiv er ist, dachte sie, und so perfekt. Trotz des Altersunterschieds konnte sie sich keinen besseren Ehemann wünschen. Nicht nur gemeinsame Interessen verbanden sie miteinander, sie stammten auch aus derselben Gesellschaftsschicht.
Impulsiv neigte sie sich zu ihm und presste ihren Mund auf seinen, leidenschaftlich und besitzergreifend. Nur sekundenlang erwiderte er den Kuss, bevor er von ihr wegrückte und einen bedeutsamen Blick auf den Rücken des Fahrers warf. Dann tätschelte er ihr Knie und schilderte einen Zwischenfall auf dem Empfang.
Seine Zurückweisung kränkte sie. Gewiss, er fand es überaus wichtig, den Schein zu wahren, und meistens ging sie bereitwillig darauf ein. Aber sie waren jetzt in Paris. Konnte er nicht für einen einzigen Abend ein bisschen aus sich herausgehen?
Während die Neonlichter des La Coupole auftauchten und Cal ununterbrochen über die Leute in der amerikanisehen
Botschaft schwatzte, stellte sie sich vor, Sam Gamble würde neben ihr im Auto sitzen. Sam, der sie in die Plüschpolsterung drückte und eine Hand unter ihren Rock schob ... Sam, der herausfand, dass sie darunter nackt war – nackt und bereit, ihn in sich aufzunehmen ... In Sams Armen wäre sie eine andere Frau, sexy und heißblütig, enthemmt und wild.
Entschlossen und pikiert verdrängte sie das Fantasiebild. Ein paar Minuten später betraten sie das Restaurant, und ihre belanglose Konversation glich einer Wolke aus Seifenblasen.
Seit einem halben Jahrhundert lockte das La Coupole zahlreiche Künstler, Intellektuelle, Studenten und diverse Exzentriker an. Unter dieser hohen Decke hatte Henry Miller mit Anaïs Nin Schach gespielt. Jean-Paul Sartre hatte mit Simone de Beauvoir fast jeden Tag am selben Ecktisch zu Mittag gegessen. Auch Chagall und Picasso hatten hier diniert, ebenso Hemingway und Fitzgerald. Aber als Susannah gegenüber von Cal Platz nahm, dachte sie an die Legenden aus den zwanziger Jahren – aus den Anfangszeiten des Lokals. Damals hatte Kiki de Montparnasse, das erste Pariser Playgirl, eine Rose zwischen die Zähne geklemmt und war fast nackt im Brunnen umhergetollt, der die Mitte des Speiseraums schmückte.
»Vor vielen Jahrzehnten wurde dieser Brunnen in eine gigantische Blumenvase verwandelt«, erklärte sie, und Cal blickte von der Speisekarte auf, die er gerade studierte. Verlegen lächelte sie und wies mit dem Kinn zum Zentrum des Restaurants. »Ursprünglich war diese riesige Blumenvase ein Brunnen. Weil die Gäste ständig darin badeten, musste das Wasser herausgelassen werden.«
Höflich nickte er und fragte, ob sie ein Lamm-Curry oder ein Fischgericht vorziehen würde. »Also wirklich, Susannah, ich glaube es einfach nicht, dass wir wegen dieser biederen
Hausmannskost auf das Tour und seine berühmte Ente verzichten.«
»Ein Lamm-Curry wäre wundervoll«, antwortete sie hastig. Während sie auf den Kellner warteten, um die Bestellung aufzugeben, schaute sie sich um. Doch die Magie war entschwunden, und sie konnte das La Coupole ihrer Fantasie nicht mehr heraufbeschwören. Jetzt sah sie nur noch einen Raum, den gewöhnliche Gäste mit lautem Stimmengewirr erfüllten. Keine Spur von Modigliani oder Camus. Niemand, der auch nur entfernt Josephine Baker glich, die zur Tür hereinstöckelte, einen kleinen Löwen an einer Leine voller funkelnder Diamanten. Wo bist du, Kiki de Montparnasse? Könnte ich doch eine Frau sehen, die unbefangen genug wäre, um halb nackt in einen Brunnen zu springen – und der es ganz egal wäre, was die Leute denken ...
»Das wollte ich dir eigentlich in einer etwas romantischeren Umgebung erzählen.« Cal griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. »Aber
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