Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
dröhnenden Motoren des Flugzeugs würden sie bald einlullen. Während er sie beobachtete, senkten sich ihre durchscheinenden Lider, fragil wie Eierschalen. Und dann riss sie abrupt die Augen auf.
»Du bist schläfrig, nicht wahr?«, fragte er.
Da erwiderte sie seinen Blick, und neues heißes Mitleid erfüllte ihn, als er die Angst in ihren Augen las. Wie ein Reh vor dem Gewehr eines Jägers, dachte er. »Nein – mir – mir geht es gut«, stammelte sie.
»Schlaf ein bisschen. Bis wir in Kalifornien ankommen, dauert es noch ein paar Stunden.«
Hilflos musterte sie den schönen Märchenprinzen, der sie gerettet hatte. Obwohl es unvorstellbar war, ihm den Gehorsam zu verweigern – sobald sie einschlief, würde sich das Monstrum mit den Fuchsaugen an sie heranpirschen. Sogar in dieser großen silbernen Maschine würde es zu ihr kommen. Dann würde sie sich in die Hose machen, und der Prinz würde herausfinden, wie unartig sie war.
Joel nahm ihre Hand und drückte sie behutsam. »Mach einfach die Augen zu.«
Nur mühsam hielt sie ihre Tränen zurück, als sie seine sanfte Stimme hörte. »Das – das kann ich nicht.«
»Warum nicht?« Wie viel Aufmerksamkeit er ihr schenkte – als wäre sie kein kleines Kind, sondern eine richtige erwachsene Person ...
»Weil es unklug ist – Sir.« Verspätet fügte sie die höfliche Anrede hinzu und hoffte, er würde über ihre schlechten Manieren hinwegsehen.
»Von sechsjährigen Mädchen weiß ich nicht viel. Also wirst du mir einiges erklären müssen.«
Voller Mitleid, aber auch fordernd, schaute er sie mit seinen leuchtend blauen Augen an. Er hatte ein Grübchen im Kinn, und sie wünschte, sie könnte es mit einer Fingerspitze berühren, um herauszufinden, wie es sich anfühlte. Während sie nach einer höflichen Antwort suchte, überschlugen sich ihre Gedanken. Natürlich durfte sie ihr Problem nicht erwähnen. Über solche Dinge zu reden – das war vulgär und inakzeptabel. Dafür gab es keine Entschuldigung. »Nun, ich fürchte ...«, begann sie. »Unter Umständen wäre es möglich ...«
Er lachte, und sie hielt erschrocken den Atem an. Beruhigend tätschelte er ihre Hand. »Was für sein sonderbares kleines Vögelchen du bist ...«
»Ja, Sir.«
»Du solltest mich nicht ›Sir‹ nennen.«
»Nein, Sir. Wie darf ich Sie denn anreden?«
Eine Zeit lang dachte er nach. »Wie wär’s mit ›Dad‹?« Dann lächelte er. »Wenn ich’s mir recht überlege – entscheiden wir uns erst einmal für ›Vater‹. Irgendwie glaube ich, damit würdest du dich wohler fühlen.«
»Vater?« Ihr Herz schlug wie rasend. Was für ein wundervolles Wort! Ihr richtiger Vater war tot. Könnte sie doch
den Märchenprinzen fragen, ob sie jetzt sein kleines Mädchen sei. Aber es wäre furchtbar unhöflich, so persönliche Fragen zu stellen, und so schwieg sie.
»Nachdem wir das geklärt haben, würdest du mir verraten, warum du nicht einschlafen kannst?«
Unglücklich senkte sie den Kopf. »Ich habe Angst, ich würde ... Nicht absichtlich, rein zufällig ... Womöglich würde ein Missgeschick meinen Sitz ruinieren.«
»Ein Missgeschick?«
Beklommen nickte sie. Wie sollte sie diesem großartigen Mann etwas so Schlimmes erklären?
Er sagte nichts, und sie wagte nicht, ihn anzuschauen, voller Angst, sie würde unverhohlenen Ekel in seiner Miene lesen. Und so starrte sie die Rückenlehne des Passagiers an, der vor ihr saß.
Schließlich erwiderte er: »Ich verstehe. Wirklich, ein außergewöhnliches Problem. Was meinst du, wie wir es lösen könnten?«
Susannah ließ die Lehne nicht aus den Augen. Offenbar erwartete er eine Antwort, und so schlug sie zögernd vor: »Vater – wenn du so freundlich wärst, mich in den Arm zu kneifen, sobald ich einschlafe ...«
»Hm. Ja, das wäre möglich, aber vielleicht schlafe ich selber ein, und dann würde ich nichts merken. Da habe ich eine bessere Idee.«
Unsicher wandte sie sich zu ihm. Er hatte seine Fingerspitzen aneinander gelegt, konzentriert runzelte er die Stirn.
»Wie wäre es, wenn wir beide die Augen schließen und uns ausruhen? Wenn du aufwachst und feststellst, dass dir ein – eh – Missgeschick passiert ist, stößt du mich mit dem Ellbogen an und weckst mich. Dann bitte ich die Stewardess um ein Glas Wasser. Wenn sie’s bringt, schütte ich’s scheinbar versehentlich auf deinen Rock und den Sitz.« Dank ihres Scharfsinns brauchte sie nur wenige Sekunden,
um zu begreifen, was er meinte. Was für ein
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