Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
schon bald das »Schloss«. Insgeheim freute sich Joel über diesen Spitznamen. Sollte ein König etwa nicht in einem Schloss wohnen?
Natürlich bildete er sich keine Sekunde lang ein, er wäre ein König ... Aber im Imperium der Falcon Business Technologies übte er uneingeschränkte Macht aus. Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten musste sich vor dem Volk verantworten – und Joel nur vor sich selbst und den handverlesenen Mitgliedern des Aufsichtsrats. Was er in so jungen Jahren erreicht hatte, erfüllte ihn mit Stolz. Mit achtunddreißig zählte er zu den einflussreichsten Männern der amerikanischen Industrie, und er wünschte, er hätte seinen privaten Haushalt unter genauso strenger Kontrolle.
Während er die Manschettenknöpfe aus Onyx in die Löcher seiner Hemdsärmel schob, schaute er ungeduldig zu seiner Frau hinüber. Sie saß an ihrem Toilettentisch und bemalte die Lippen, die eben noch seinen Körper so effektvoll beglückt hatten.
Mit dreiunddreißig Jahren hatte sie die volle Blüte ihrer
Schönheit erreicht. Wann immer sie den Oberkörper zum Spiegel neigte, schmiegten sich ihre Brüste verführerisch in die Körbchen des BHs. Konzentriert schminkte sie sich, als würde die simple Aufgabe, einen Lippenstift aufzutragen, ihre gesamte Intelligenz erfordern – die keineswegs bemerkenswert ist, dachte Joel.
»Du wirst dich schon wieder verspäten, Kay!«, fauchte er. »Wie wichtig dieser Abend ist, weißt du doch. Und du hast versprochen, du würdest pünktlich sein.«
»Tatsächlich?«, fragte sie vage, schraubte den Lippenstift in die Hülle zurück und fingerte an dem kostbaren, mit Juwelen besetzten Verschluss. Wie Federn umrahmten die hellblonden Haare ihres italienischen Kurzhaarschnitts die Wangenknochen und milderten Züge, die das gar nicht nötig hatten. Für die aktuelle Mode war ihr Mund zu voll. Doch das hatte Joel stets gefallen. Vielleicht zu sehr. Solche Lippen passten zu einer Nutte, nicht zur Ehefrau eines mächtigen, erfolgreichen Industriellen.
»Sei nicht böse, Darling«, bat sie. »Seit du aus New York zurückgekommen bist, schimpfst du ständig mit mir.«
»Kannst du mir das verdenken? Dass du dumm bist, wusste ich. Aber ich hatte keine Ahnung, wie dumm.«
Kay griff nach einer Zigarette und strich mit ihrem kleinen Finger über die Bögen ihrer dünn gezupften Brauen. »Schrei mich nicht schon wieder an, Joel! Es war nicht meine Schuld. Das habe ich dir oft genug erklärt. Wann immer ich Susannah besucht habe, war sie gut gekleidet. Wie sollte ich denn merken, dass da irgendwas nicht gestimmt hat?«
Joel verkniff sich eine Antwort, die seine einfältige Frau zu einer noch schlimmeren Verspätung bewegen würde. Welch eine grauenhafte Ehe hatte er sich aufgehalst ... Trotzdem übte er keine allzu vernichtende Kritik an seiner Vernunft, denn die sinnliche Seite seines Wesens fühlte sich zu Frauen wie Kay hingezogen – verführerische, verwöhnte
Kätzchen, die im Bett wahre Wunder vollbrachten, aber im täglichen Leben völlig versagten. Auch einflussreichen Männern musste man gewisse körperliche Schwächen zugestehen. Eine Zeit lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich scheiden zu lassen. Doch ein solcher Skandal würde seine Position gefährden. Stattdessen verübelte er Kay, dass sie nicht die tüchtige Ehefrau war, die ein Mann von seinem Kaliber brauchte.
»Hast du meine Ohrringe gesehen, Darling? Die Saphire?« Vergeblich wühlte sie in dem Chaos auf ihrem Toilettentisch, in der Hoffnung, der teure Schmuck könnte sich irgendwo zwischen den Max-Factor-Fläschchen und den Ayds-Diätwürfeln verstecken.
»Um Himmels willen, Kay, wenn du die Saphire schon wieder verlegt hast, nehme ich sie dir endgültig weg. Ist dir eigentlich klar, was sie gekostet haben?«
Geistesabwesend griff sie wieder nach dem Lippenstift. »Ein Vermögen, nehme ich an. Oh, jetzt erinnere ich mich – ich habe sie im Wohnzimmer abgenommen und sie in eine Schublade des Sekretärs gelegt, damit ich sie nicht verliere. Sei ein Schatz und hol sie mir.«
Joel verließ das Schlafzimmer und stieg die Treppe hinab. Als er das Wohnzimmer betrat, sah er Susannah nicht, die wie eine stille, kleine graue Maus in einem Sessel kauerte, die Beine unter dem Rock ihres neuen Nachthemds aus Kattun angezogen. Beim Anblick des vergötterten Vaters strahlten ihre Augen.
»Verdammt!« In den Schubladen des Nussbaumsekretärs häuften sich Kays Besitztümer. Alles, nur keine Ohrringe... Ein
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