Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
er ein paar überflüssige Pfunde angesetzt, und die Golferbräune war verblasst. Vielleicht bildete sie sich das nur ein – aber er wirkte um Jahre gealtert.
In den letzten Wochen hatte sie sich an ihre Umgebung gewöhnt, und jetzt sah sie alles mit seinen Augen – die bunte Spiegelwand, die Plastikblumen, die hässlichen Fotos von aufgedonnerten Frisuren. Und sie sah sich selbst – billig und gewöhnlich, in einem Männer-T-Shirt und einer fadenscheinigen Hose, die sie früher bei der Gartenarbeit getragen hatte. Beinahe las sie die Gedanken ihres Vaters, der sichtlich verstört beobachtete, wie sie das Haar einer alten Frau
wusch. Dann beäugte er die blauen Pantoffeln der Kundin, die seitlich aufgeschnitten waren, um Platz für ihre Hühneraugen zu schaffen.
Plötzlich erklang ein Schmerzensschrei, und Susannah bemerkte, dass sie ihre Finger viel zu fest in die Kopfhaut der armen Frau grub.
»Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich. Mit bebenden Händen spülte sie den Schaum aus dem Haar der Kundin und schlang ihr ein Handtuch um den Kopf. Nach kurzem Zögern ging sie zu ihrem Vater, und Angela glotzte ihr hinterher, ohne ihre Faszination zu verhehlen.
»Ich – ich habe versucht, dich anzurufen«, stammelte Susannah.
»Das habe ich gehört.« Angewidert musterte er ihre Kleidung.
Angelas Armreifen hatten zu klirren aufgehört, und Susannah spürte die neugierigen Blicke der Kundinnen. Mit einer unsicheren Geste bedeutete sie Joel, ihr in die Werkstatt zu folgen. Inzwischen war Sam verschwunden. Vermutlich besuchte er den Mann, der ihnen die Computergehäuse liefern sollte.
Aus der Burn-in-Box drang ein warmer Plastikgeruch und mischte sich mit dem beißenden Gestank der Dauerwelle. In der Garage war es heiß und stickig. Mühsam schluckte Susannah und verschränkte die Arme vor der Brust. »Soll ich dir ein Glas Eistee bringen? In der Küche steht ein Krug, es dauert nur ein paar Sekunden.«
Joel ignorierte das Angebot, ging zur Werkbank und inspizierte die Leiterplatte, die darauf lag. Verächtlich schnaufte er.
»Wenn du’s willst, kann ich dir auch einen Drink holen«, schlug sie hastig vor.
Er drehte sich um und musterte sie so eisig, dass sie sich fragte, ob er sie jemals liebevoll betrachtet hatte. Das ertrug
sie nicht. Ihre Kehle verkrampfte sich. Unglücklich stand sie vor dem Mann, den sie liebte, seit sie denken konnte – der Mann, der in ihrer Kindheit als Märchenprinz Drachen für sie getötet und ihr damit ein neues Leben geschenkt hatte. »Hasse mich nicht«, wisperte sie. »Bitte.«
»Erwartest du etwa, ich würde vergessen, was du mir angetan hast?«
»Lass dir erklären, wie ich mich fühlte ...«
»Das willst du mir jetzt erklären?«, fragte er höhnisch. »Interessant. Jetzt, wo alles vorbei und der Schaden nicht mehr zu beheben ist, entschließt du dich zu einer gemütlichen Plauderei zwischen Vater und Tochter.« Wie frostig seine Stimme klang – wie anklagend ...
»Ich möchte dir nur versichern, dass ich dir niemals wehtun wollte.«
»Leider ist die Frist für Geständnisse längst überschritten. Warum hast du nicht vor dem Debakel deiner geplatzten Hochzeit mit mir geredet? Sei so freundlich und verrate es mir, Susannah – wann habe ich mich in ein Monstrum verwandelt, dem du dich nicht anvertrauen konntest? Habe ich dich in deiner Kindheit geschlagen, wenn du mit deinen Sorgen zu mir gekommen bist?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie bedrückt.
»Habe ich dich jemals in einen Schrank gesperrt, wenn du unartig warst?«
»Nein, das ist es nicht ...«
»Wenn du mir etwas erzählen wolltest, habe ich dich beiseite gestoßen und gesagt, ich hätte keine Zeit?«
»Nein, du warst wundervoll. Das alles hast du nie getan – nur ...« Beklommen suchte sie nach Worten. »Wenn ich dich geärgert habe, warst du immer so – kühl.«
In gespielter Verblüffung hob er die Brauen. »Also war ich zu kühl. Selbstverständlich! Warum habe ich das nicht bedacht? Nachdem du so schrecklich unter der seelischen
Grausamkeit deines Vaters leiden musstest – wer dürfte dir dein Verhalten übel nehmen?«
»Bitte ...« Susannah biss auf ihre Lippen. »Glaub mir, ich wollte dich nicht verletzen.« Die Beteuerung schien sich durch eine mikroskopisch enge Röhre in ihrem Hals zu zwängen. »Und Cal auch nicht. Ich ertrug es einfach nicht mehr – perfekt zu sein.«
»Daran lag es?«, rief er mit ätzender Stimme. »An deiner Perfektion? Hättest du mich
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