Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
zu dienen? Und spielte das überhaupt eine Rolle, solange seine Handlungen und Worte ihr aufrichtig erschienen? Sie hatte einen Großteil ihres Lebens damit verbracht, niemandem zu trauen. Sie konnte auch jetzt ohne Vertrauen weitermachen, wenn sie dabei nicht allein sein musste. Sie würde ihre Furcht der letzten zwei Jahrzehnte durch sinnliche Leidenschaft ersetzen, die sie sich nahm, wann immer es ihr, und nur ihr, gefiel. Damit musste sie sich zufriedengeben.
8. KAPITEL
S eit einem Tag waren sie auf der Flucht, und bisher fühlte es sich wie eine gewöhnliche Reise an, beispielsweise zu einem Jahrmarkt. In Wahrheit aber juckte Henris Nacken unaufhörlich, und er konnte nicht verhindern, dass er jedes Mal zusammenzuckte, wenn ihnen andere Reisende begegneten. Die Herzogin hatte ihm gesagt, er solle sofort fliehen, wenn er einen der Männer der Palastgarde sah. Aber natürlich würde er sie nicht so schmählich im Stich lassen, sondern wenigstens versuchen, sie zu verteidigen. Sylvie mochte ihn zwar nicht, aber sie würde seine Hilfe brauchen, bis der Eunuch, der die Nachhut bildete, zu ihnen aufgeschlossen hatte.
Abgesehen von der Gefahr, gefangen genommen und getötet zu werden, war diese Reise für Henri ein Vergnügen. Regen prasselte auf seine Kapuze und seine Schultern nieder, und er staunte, wie trocken er unter seinem Mantel blieb. Und wie warm ihm trotz der kühlen Frühlingsnächte war! Er hatte noch nie einen Wollmantel besessen und glaubte auch wirklich nicht, dass er jetzt einen besitzen sollte, denn ein Junge und sein Privatlehrer würden ihren Stallburschen kaum verhätscheln. Aber Sylvie hatte darauf bestanden, und jetzt war er froh um den Mantel, denn sonst wären seine neuen Kleidungsstücke vollständig durchnässt wie schon seine Hemdaufschläge und Tulipes Fell. Vielleicht hatte Sylvie recht. Wenn der Junge, als der sie sich ausgab, der Sohn eines Adeligen war, waren auch seine Diener gut gekleidet. Besonders ein hochgestellter Diener wie der Lehrer, denn diese Rolle hatte die Herzogin eingenommen. Obwohl Sylvie ihm das Gefühl gab, dumm und ungeschickt zu sein, war er froh um ihre Anwesenheit, denn sie kümmerte sich um die Verkleidungen der Reisegesellschaft und viele andere Dinge.
Er fragte sich, wie Sylvie wohl Kaspar verkleiden würde, wenn sie ihn morgen im Gasthaus trafen. Als reisenden Söldner? Als Kaufmann? Als Großmutter eines Mitreisenden?
Außerdem überlegte er, wie gut der Eunuch wohl reiten könnte. Henri hatte sich bei dem Gedanken erwischt, dass er sich als Besitzer der Pferde fühlte. Er hatte Sylvie Lilas zugeteilt, damit er zusammen mit der sanfteren Tonnelle das Packtier führen konnte. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er die Zofe beobachtete und jeden kleinen Fehler ihrer Haltung bemerkte. Sie sollte dem Pferd mehr Zügel geben und weniger Druck mit ihrem äußeren Schenkel ausüben. Er war sicher, dass es Sylvie nicht gefallen würde, wenn er ihr diese Hinweise gab. Und vielleicht würde es der Herzogin ebenso wenig gefallen. Es war seine Aufgabe, sich um die Pferde zu kümmern und sie zu trainieren, falls es nötig war. Es gehörte nicht zu seinen Pflichten, Respektspersonen zurechtzuweisen. Ohnehin vermutete er, dass es keine Rolle spielte, wie gut Sylvie reiten konnte, solange sie nicht im Damensattel ritt, denn dadurch würde sofort klar werden, dass sie nur als Junge verkleidet war.
Diese Gedanken konnten ihn aber irgendwann nicht mehr von der Herzogin ablenken.
Als er sich daran erinnerte, wie sie in den frühen Morgenstunden zum ersten Mal seit Jahren wieder mit Guirlande zusammengekommen war, musste er den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, krampfhaft hinunterschlucken. Einige Minuten lang hatte sie bewegungslos auf der matschigen Koppel gestanden, die Arme um den Widerrist der Stute geschlungen und das Gesicht an Guirlandes Hals gedrückt, während der Regen an ihr und dem Tier hinabrann. Sylvie wollte zu ihr gehen, um sie in den Stall zu ziehen, aber Henri hatte eine Hand auf ihren Arm gelegt und sie daran gehindert. “Wir alle werden ohnehin bald völlig durchnässt sein”, hatte er gesagt.
Er blickte nach vorne, wo sich der große Mantel über Guirlandes Kruppe breitete. Der Sitz seiner Herzogin war absolut perfekt; er konnte es sogar daran erkennen, wie Guirlande sich bewegte. Die Stute schritt zuversichtlich und ausbalanciert voran und ging perfekt an der Hand. Er war froh, dass die Herzogin im Herrensitz ritt. Ein Damensattel
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