Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
wäre für jemanden mit dieser Haltung ein Sakrileg. Es war das Erste, was er einst an ihr bewundert hatte, und zugleich das, was er am meisten bedauerte, als der Herzog ihr das Reiten verbot. Als kleiner Junge hatte er sie beim Reiten beobachtet, bevor er wusste, dass sie die Herzogin war. Es gefiel ihm, sich daran zu erinnern. Zwar war er ihr nicht ebenbürtig, aber er konnte zumindest ihre Gefühle für die Pferde teilen.
Es war eine große Freude für ihn gewesen, gestern allein mit ihr auszureiten. Als er ihr vom Wind zerzaustes Haar, die geröteten Wangen und das Glänzen ihrer Augen gesehen hatte – da hätte er sie am liebsten geküsst.
Er ertappte sich dabei, wie er auf ihren Rücken starrte und anschließend auf ihre vom Stiefel umschlossene Wade, die sich an Guirlandes Leib drückte. Es war nicht derselbe Stiefel wie gestern, sondern ein einfacheres Modell mit einer quadratischen Stiefelspitze. Eher ein Stiefel, wie ihn ein Mann tragen würde. Zum Glück waren ihre Füße nicht allzu klein.
Er schluckte hart, als er an ihre nackten Füße im Gras denken musste. Sie waren lang und elegant, blaue Venen zeichneten sich unter der Haut ihres Fußrückens ab und ihre langen Zehen krümmten sich, als sie sich in das Erdreich gruben. Ihre Füße krümmten sich vielleicht genauso, wenn sie …
Ein Ast schlug ihm ins Gesicht und ließ kaltes Regenwasser in seinen Kragen rinnen. Henri prustete und versuchte seine Ungeschicklichkeit zu verbergen, indem er sich im Sattel nach Tonnelle und dem Packesel Tigre umdrehte. Unbeeindruckt von dem strömenden Regen trotteten die beiden Tiere gehorsam hinter ihm her. Dennoch befestigte er die Führleine fester an seinem Sattelknauf, bevor er sich kurz in den Steigbügeln aufrichtete, um seine Beine zu strecken und die neuen, eng anliegenden Lederstiefel zurechtzuziehen. Die Herzogin mochte ihm zwar befehlen, ihr Lust zu bereiten, überlegte er dabei, aber das hieß nicht, dass sie ihm die Intimitäten gewährte, von denen er träumte, Intimitäten, bei denen es um mehr als körperliche Befriedigung ging.
Irgendwann würde er Nicolette wiedersehen oder einer anderen Frau begegnen, der er all die Liebe und Zärtlichkeit schenken konnte, die er zu geben hatte. Diese Frau würde die Herzogin niemals für ihn sein. Zwar bewunderte er sie von ganzem Herzen, doch er kannte seinen Platz in der Welt. Er musste sich stets vor Augen halten, dass sie ihm schon einmal Gold angeboten hatte. Für sie war er nur eine flüchtige Laune. Eine spezielle Art von Diener.
Als sie schließlich den Gasthof
Le premier cygne
erreichten, war Henris Mantel durchweicht und er selber bis auf die Haut durchnässt. Bevor er sich um die Pferde kümmerte, zog er den Mantel aus, denn ein Knecht, der ein so teures Kleidungsstück besaß, wäre im Gasthaus aufgefallen. Als er seine Aufgaben erledigt hatte, war ihm eiskalt, doch die Pferde und das Maultier waren trocken und satt und hatten es warm.
Die Herzogin hatte ihn zum Essen in den öffentlichen Gastraum beordert, nachdem es einige Streitereien mit Sylvie darüber gegeben hatte, ob es nicht sicherer wäre, sich die Mahlzeit hinauf ins Zimmer bringen zu lassen. Durchgesetzt hatte sich schließlich die Herzogin, indem sie erklärte, im Speisesaal könnten sie die anderen Gäste beobachten.
Als er sich durch die Tür in den Gastraum schob, prallte er gegen eine Wand aus Hitze und stickiger Luft. Riesige Öfen glühten auf beiden Seiten des lang gestreckten Zimmers, einer umringt von alten Männern auf Stühlen, um den anderen hockte eine Gruppe lebhaft durcheinanderrufender Würfelspieler. Große Kerzen flackerten in einem in der Mitte des Raumes angebrachten Kronleuchter aus getriebenem Eisen und warfen ihr Licht auf einige schwere, zerschrammte Holztische. In einer Ecke spielten ein paar Männer Karten, in einer anderen ging es um einen Wettbewerb, bei dem Pfeile auf ein Holzbrett geworfen wurden. Eine Gruppe Dirnen besetzte die dritte Ecke. In der vierten Ecke fand sich ein keuchendes Paar, halb verdeckt von einigen an Haken aufgehängten Mänteln, bereits weit über den Punkt erster Verhandlungen hinaus. Rasch wandte Henri den Blick ab und atmete den Geruch von bratendem Lammfleisch und ungewaschenen Menschen, geschmolzenem Talg und beißendem Rauch ein.
Zunächst konnte er Sylvie und die Herzogin nicht entdecken, bis ihm einfiel, dass sie wahrscheinlich ihre Mäntel oben gelassen hatten. Dann erspähte er in der Nähe der Ecke, wo die Huren sich
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