Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
für Ketzerei fußt außerhalb dieses Rechtssystems. Bei Hexerei handelt es sich um ein sogenanntes Ausnahmeverbrechen. Mit Hexerei ist alles möglich. Darum wird zur Beurteilung dieses Verbrechens ein Mann gewählt, der Ermittler, Ankläger und Richter in einer Person ist und sogar einen Teil der Bestrafung übernimmt. Diese Person muss von absolut einwandfreiem Leumund sein und gegen jede Art der Anfechtung immun. Man nimmt einen Kirchenmann, weil man diesem Gottes Beistand zugesteht. Außer Gott ist niemand gegen Hexerei gefeit, selbst Päpste fielen ihr zum Opfer. Auch ein Inquisitor, der die Blüte des Menschengeschlechts darstellen soll, kann durch sie geschädigt werden. Damit die Gerechtigkeit seiner Urteile nicht dadurch in Frage gestellt wird, muss jederzeit davon ausgegangen werden, dass er Recht spricht. Seine Menschenkenntnis ist untrüglich. Niemand ist den Angriffen des Teufels so exponiert wie er, doch selbst wenn er unter diesem Einfluss etwas Unrechtes tut, so darf das nicht seine Position gefährden, sowie er die Hexe als solche und die Urheberin entlarvte. Jeder Trick oder Betrug, jede Unehrlichkeit und sogar ein Verbrechen sind gerechtfertigt, eine Hexe zu überführen. Jeden anderen kann der Teufel betrügen, einen Inquisitor nicht. Ihn nicht und den Papst nicht, sonst jeden. Er irrt nicht, der Papst irrt nicht und Gott irrt nicht. Wie soll ich, Eurer Meinung nach, also vorgehen?«
Doktor Wegener schwieg. Luzia bemerkte in seinen dunklen Augen Verbitterung hochsteigen. Doktor Patrizius blätterte in seinen Notizen. Luzia sah von einem zum anderen, dann ließ sie ihre Faust auf den Tisch donnern, dass beide hochschreckten und sie anstarrten. »Dann hängen wir ihm was an!« Sie starrte aggressiv zurück und sah jedem in die Augen. »Es wird doch irgendwen geben, der ihn zu Fall bringt - und wenn es der Papst persönlich ist!«
Kapitel 9 - Der Plan
Lukas war mit Doktor Patrizius unterwegs zum Oberamtmann und Luzia hatte ihn gebeten, noch etwas an der frischen Luft bleiben zu dürfen. Da er keine Gefahr darin sah, ließ er sie gewähren. Es gefiel Luzia schon gut in der großzügigen Wohnung, aber am liebsten hätte sie die Schuhe ausgezogen und wäre durch die Gassen gerannt, um barfuß im Bach zu plantschen. Durch die Fenster sah sie schönes Wetter, die Sonne schien heiß durch die Scheiben und wärmte Luzias Gesicht.
Nein, niemand sollte sie sehen. Schon die Mädchen galten Lukas als Risiko, weshalb Trine Luzia als entfernte Verwandte aus Mainz ausgab, die zur Amorquelle pilgerte. Nur mit Trine sprach sie, die anderen Mädchen verrichteten irgendwelche Hausarbeiten im anderen Flügel oder bei der greisen Nachbarin, um die Lukas sich zu kümmern versprochen hatte. So überkam Luzia, nachdem sie das Haus in Augenschein genommen hatte, doch die Langeweile und sie half Trine beim Silberputzen.
»Du warst in Mainz?«, fragte sie das Dienstmädchen.
»Bei meiner ältesten Schwester. Deren Mann betreibt dort eine Bäckerei. Der Älteste ist soweit, der wird bald das Geschäft übernehmen.«
Wenn Luzia sie so von nahem betrachtete, so jung war Trine gar nicht mehr. Bestimmt hatte sie die Dreißig schon überschritten. Kurz rechnete sie nach. Dann war sie vor elf Jahren, als die letzten Hexenprozesse das Leben ihrer Mutter gekostet hatten, wohl schon längst verheiratet gewesen. Trine beugte sich vor, um eine Stelle an einem Leuchter besonders in Augenschein zu nehmen. Flinke Bewegungen putzten drüber und ein Krümel der Salzpaste spritzte ihr ins Gesicht. Mit dem Ärmel wischte sie ihn fort und verrückte dabei ihre weiße Haube. Unwillkürlich sog Luzia zischend den Atem ein. Dort, wo die Schläfenhaare sitzen sollten, schlug nackte Haut Falten über einem tiefen Krater. Rotes und weißes Fleisch bildeten ein entsetzlich verzerrtes Streifenmuster.
»Trine, wie schrecklich, was ist dir da passiert?«
Die Magd sah hoch, legte das Putztuch zur Seite und zog mit einem Finger die Haube zurecht. Jetzt lag sie wieder auf der tiefen Brandnarbe und verdeckte sie fast vollständig. »Mein Andenken an den Amtmann, weil ich nicht gegen meine Mutter aussagen wollte. Die Nachbarn hatten sich was ausgedacht und bestätigt, was der Amtmann ihnen in den Mund legte, aber ich wollte nicht. Fehlte nicht viel, er hätte mich auch verbrannt. Hexenmilch nannte er es, als meine Brüste die Milch für meine Tochter nicht mehr halten konnten. Mein Mann konnte es nicht ertragen, verschwand mit ihr auf
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