Die Hexe und der Herzog
auch gemeinschaftlich gegrübelt hatten, der zündende Einfall war ihnen nicht gekommen. Im Morgengrauen hatte Andres Scheuber dann sein Pferd gesattelt, um zurück nach Hall zu reiten, aus Angst, beim Herzog in Ungnade zu fallen und seine Anstellung und damit das Einkommen der Familie zu verlieren, das nun wichtiger geworden war als je zuvor. Denn er hatte als engster Angehöriger für die Gefängniskosten aufzukommen, und für jedes Stück Brot und jeden Schluck Wasser, den die Angeklagten im Loch erhielten, wurde ein stattlicher Obolus erhoben. Wie lange Herzog Sigmund den Ehemann einer als Hexe Verdächtigten überhaupt entlohnen würde, war ohnehin ungewiss. Von einem Tag auf den nächsten konnte alles schon anders sein.
Merwais war sterbensmüde nach Hause geschlichen und in einen kurzen, totengleichen Schlaf gesunken, der ihn mehr erschöpft als erquickt hatte.
Jetzt allerdings war er mit einem Schlag wach.
»Sie soll nicht nur Gift in das Essen des Herzogs und der Herzogin geträufelt, sondern alle auch noch verzaubert haben«, sagte Vily. »Jedenfalls hat man sie als Hexe angeklagt.«
»Lena – welch ein Unsinn!«, rief der Jurist. »Das ist das Dümmste, was ich jemals gehört habe.«
»Ich glaub es ja auch nicht«, sagte Vily. »Keiner von uns in der Küche hält Lena dazu für fähig, außer vielleicht Meister Chunrat, der immer mit dem Schlimmsten rechnet.« Er zog die Stirn kraus. »Was werdet Ihr jetzt tun? Ihr werdet sie doch retten, oder? Das tut Ihr doch!«
»Und wenn ich mein Leben dafür geben müsste!« Johannes spürte plötzlich eine ungeahnte Welle von Kraft, die ihn durchdrang. »Wissen ihre Leute schon davon? Ihre Tante, die Großmutter, der kleine Vetter?«
»Keine Ahnung.« Vily schüttelte den Kopf. »Chunrat lässt keinen von uns aus der Hofburg, um das böse Gerede in der ganzen Stadt möglichst klein zu halten. Sonst wäre ich schon längst zu ihnen gelaufen.«
»Dann werde ich das jetzt tun.«
Merwais ließ das Kontor zurück, ohne das geringste Bedenken. Und wenn der Herzog ausgerechnet jetzt nach ihm schickte? Es gab nichts auf der Welt, was ihm gerade wichtiger gewesen wäre als Lena und ihre Familie!
Anfangs ging er sehr schnell, von Angst und Ungeduld getrieben, doch je näher er dem »Goldenen Engel« kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Was sollte er diesen Leuten sagen, die er lediglich aus Lenas Erzählungen kannte? Dass er Lena liebe, ihnen aber leider schon bei der ersten Begegnung mitteilen müsse, man habe sie als Hexe angeklagt? Immer mutloser fühlte er sich, und als er schließlich das Gasthaus erreicht hatte, kostete es ihn große Überwindung, einzutreten.
Es war sehr still, das merkte er sofort. Auf der Ofenbank schlief ein Kind mit blondem, zerzaustem Schopf, neben dem sich eine schwarze Katze eingekringelt hatte. Beide schreckten auf, saßen aufrecht, starrten ihn an.
Aus der Tür, die offenbar in die Küche führte, kam eine alte Frau mit einem bräunlichen Gesicht gelaufen, das eher zum Lachen getaugt hätte, jetzt aber sorgenvoll gefurcht war.
»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr? Wir haben geschlossen.«
»Ich bin Johannes Merwais, Jurist in Diensten des Herzogs …« Er verstummte. Was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Er hätte es nicht ungeschickter anfangen können!
»Der Herzog hat Euch geschickt?« Das Misstrauen der Alten hatte sich verstärkt. »Dann richtet ihm aus, dass er in dieser Familie schon für genügend Unheil gesorgt hat!«
»Nein, nein«, sagte Johannes. »Ihr irrt Euch. Der Herzog hat gar nichts mit meinem Kommen zu tun. Ich bin hier wegen Lena. Ich muss Euch sagen …«
»Lena?« Er sah die jäh erwachende Furcht in den Augen der Frau. »Was ist mit ihr?«
»Man hat sie festgenommen und verdächtigt sie lauter schrecklicher Dinge, die sie aber gar nicht begangen haben kann. Das weiß man, wenn man sie nur ein bisschen kennt. Ich liebe Lena!«, stieß er hervor. »Schon vom allerersten Augenblick an. Ich möchte ihr Mann werden und mein Leben mit ihr teilen.«
»Erst meine Els und nun auch noch unsere kleine Lena …« Die Alte sank auf einen Stuhl, presste die Hand auf ihr Herz. »Das ist zu viel. Wer soll das nur aushalten?«
»Was sagt Ihr da?« Merwais kam langsam näher. »Man hat ihre Tante ebenfalls …«
Die Frau nickte. »Jetzt bin nur noch ich da«, sagte sie. » E il mio piccolo folletto !«
Sebi sprang auf und versteckte sich unter der Bank. Der Kater machte einen Satz auf den Kachelofen. Aus
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