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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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ihm. Als sie ihm erklärt hatte, dass sie zu Marx von Mengersen wollte, hatte sie mit heftigem Protest gerechnet. Wegen Marsilius, aber vor allem, weil kein Mensch sich ohne Not mit einem Werwolf einließ. Ambrosius hatte auch protestiert, doch zugleich fand sie bei ihm eine seltsame Bereitschaft, ihrer Argumentation zu folgen.
    Sie wusste inzwischen, dass er viele Wochen von Marx gezwungen worden war, seiner Bagage die Beichte abzunehmen. Sie wusste auch, dass er den Mann fürchtete. Doch zugleich schien er ein heftiges Interesse an ihm zu haben, und manches Mal, wenn er in den vergangenen Stunden über ihn gesprochen hatte, kam es ihr so vor, als wäre er regelrecht fasziniert von dem unheimlichen Menschen. Aber suchte er tatsächlich nach dem Versteck, von dem er annahm, Marx könne sich dort verkrochen haben?
    Er hatte eine Idee gehabt, die ihr vernünftig vorgekommen war. Die Bande hatte sich einmal in einem Bergwerk versteckt, es aber bereits am nächsten Tag wieder verlassen, obwohl es ein perfekter Unterschlupf gewesen wäre. Und das könnte bedeuten, hatte Ambrosius spekuliert, dass er sich diesen Ort für später aufbewahren wollte, für einen Notfall, für eine Situation wie die augenblickliche, in der ihn der größte Teil seiner Kumpane verlassen hatte und er gezwungen war, sich unsichtbar zu machen. Stimmte diese Geschichte? Oder hatte er sie sich nur ausgedacht?
    »Es war weniger bewaldet, meine ich, und mehr Tanne als Buche«, seufzte der Geistliche. »Vielleicht westlicher? Sie haben mir gelegentlich die Augen verbunden, die Schurken. Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht aufgeben wollt, Kind?«
    Sophie schüttelte den Kopf. Es war düster in dem Waldstück, das sie gerade durchquerten. Hohe Baumkronen stahlen das Licht. Aber es gab einen Pfad, dem sie folgen konnten, und so kamen sie zumindest rasch voran. Als sie eine Hügelkuppe erreichten, erschien zu ihrer Linken eine Lichtung, auf der ein Rudel Hirsche graste. Die Tiere hoben die Köpfe, blickten alarmiert zu den Störenfrieden und sprangen davon. Sophie sah den roten Schwanz eines Fuchses im Buschwerk verschwinden und den bauschigen eines Eichhörnchens hinter einem Fels.
    »Vielleicht ist er doch kein Werwolf«, meinte sie zu Ambrosius gewandt.
    Er bekreuzigte sich. »Wie kommt Ihr drauf?«
    »Ich habe doch unter dem stinkenden Fell gelegen, in das er mich gewickelt hat. Ich habe es oftmals mit den Händen betastet. Aber es war gar kein Pelz. Es war ein Gewand, das aus mehreren Fellen zusammengenäht wurde, mit schwarzem, festem Garn. Habt Ihr je gehört, dass Werwölfe Gewänder nähen?«
    Der Priester kraulte überrascht sein Kinn. »Und dennoch …« Er begann davon zu erzählen, wie er Zeuge wurde, als Marx von Marsilius’ Männern umstellt wurde, wie er in das Bauernhaus rannte und dort verbrannte.
    » Scheinbar verbrannte«, sagte Sophie.
    »Wenn er nicht umkam, ist das doch nur ein weiterer Beweis dafür, dass er es mit dem Bösen hält. Wie sonst hätte er die Feuersbrunst überleben sollen?«
    »Aber wie kann er als Werwolf zurückkehren, wenn sein Leib zu Asche wurde?« Mit diesem Argument, dass nämlich ein verbrannter Mensch auf immer zu existieren aufhörte, wurden schließlich die Hexen auf die Scheiterhaufen gebunden. Das verblüffte Gesicht des Geistlichen bestätigte Sophie, dass sie ihn in die Enge getrieben hatte.
    »Wollt Ihr diese komplizierten Überlegungen nicht lieber in den Händen der Wissenschaft lassen, wo sich klügere Menschen die Köpfe darüber zerbrechen?«, schlug er vor. »Gewissheit haben wir, wenn wir ihn in einer Wolfshöhle finden.«
    Aber damit schien er selbst nicht zu rechnen. Und tatsächlich – nachdem sie ein weiteres Stück geritten waren, zügelte er sein Pferd und wies aufgeregt zu einem ansteigenden, wild überwucherten Gelände, das sich in Sophies Augen durch nichts vom Rest des Waldes unterschied. »Dort müssen wir hinauf!«
    Pilze zermatschten unter seinen Füßen, als er vom Pferd stieg, um es am Zügel zu führen. Sophie folgte ihm. Die Sonne wärmte die Luft, und zwischen den Zweigen leuchteten silbrige Spinnennetze, die sich in ihren Kleidern verfingen. Durch die Lüfte segelten die Früchte des Bergahorns. Eine Weile irrten sie umher. Dann rief er plötzlich: »Da!«
    Er hatte zwar nicht den Bergwerkseingang gefunden, dafür aber in einem zerklüfteten Gebiet zu ihren Füßen einen Trampelpfad zwischen den Gräsern. »Ich wusste es – sie sind hier«, triumphierte er. »Sie versuchen

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