Die Hexe von Freiburg (German Edition)
frage ich mich, ob Catharinas Schicksal damals nicht seinen Anfang genommen hat. Und ob nicht alles anders gekommen wäre, wenn ich meinen Mund gehalten hätte.
«Haben Christoph und Cathi sich gestritten?», fragte mich meine Mutter ein paar Tage später.
«Nein, im Gegenteil, sie sind bis über beide Ohren verliebt.»
Mutter sah mich weniger überrascht als vielmehr betroffen an. Im selben Moment wusste ich, dass ich aus purer Missgunst ein Geheimnis verraten hatte. Schon den vorangegangenen Winter, wenn wir abends in der Küche zusammengesessen hatten, fand ich es unerträglich, mit welch schmachtenden Blicken Christoph unsere Base beobachtete. Ich selbst hatte für ihn völlig an Bedeutung verloren.
Durch meinen Verrat erst setzte ich etwas in Gang, was womöglich sonst irgendwann als kindliche erste Liebe im Sande verlaufen wäre.
Ach, Marthe-Marie, könnte man das Rad der Zeit nur ein einziges Mal zurückdrehen.
***
Eines Tages kam ein Freund von Catharinas Vater mit schlechten Nachrichten.
«Hieronymus hat seit ein paar Tagen Fieber, dazu Pusteln am ganzen Körper. Aber er will weder Bader noch Chirurg ins Haus lassen. Vielleicht solltet ihr nach ihm sehen.»
Catharina warf ihrer Tante einen flehenden Blick zu.
«Du kannst gleich morgen zu ihm», sagte Marthe. «Aber wegen Hiltrud möchte ich nicht, dass du allein gehst.»
«Ich begleite sie», rief Christoph. Catharina sah ihn verstohlen an. Nichts schien ihm im Moment wichtiger, als wieder einzurenken, was zwischen ihnen aus den Fugen geraten war.
«Nein.» Marthes Antwort kam unerwartet scharf. «Du weißt doch, was Hiltrud gesagt hat, dass sie keinen von uns sehen will. Dir oder Lene würde sie die Tür vor der Nase zuschlagen. Besser, ich gehe mit, es ist schließlich mein Bruder. Wenn er tatsächlich ernsthaft krank ist, muss ich ihn sehen. Und wenn ich mir mit der Stadtwache Eintritt verschaffen muss.»
Am nächsten Morgen brachen sie zeitig auf. Marthe wirkte ungewohnt besorgt. In der Stadt waren in letzter Zeit wieder vermehrt Fälle von Blattern aufgetreten.
Grußlos öffnete Hiltrud ihnen die Tür und zog sich in die Küche zurück. Im abgedunkelten Schlafzimmer war es stickig und stank nach Kräuterbranntwein, Schweiß und Urin. Neben dem Bett saß der Bader. Demnach war es also doch so ernst, wie Catharina befürchtet hatte. Sie bekam vor Aufregung kaum noch Luft. Beklommen setzte sie sich auf den Bettrand und nahm Vaters Hand. Sie war eiskalt. An der Innenseite seines Handgelenks klebte Blut.
«Vater, bist du wach? Kannst du mich hören?»
Es dauerte eine Weile, bis er reagierte. Langsam wandte er ihr den Kopf zu und drückte ihre Hand. Catharina war entsetzt darüber, wie verändert ihr Vater aussah. Mager und eingefallen, die Augen zu einem schmalen Spalt geschlossen, die Haut wie schmutziges Wachs und am Hals und an der Schläfe diese roten Flecken, von denen einige entzündet waren und eiterten – das war nicht mehr der Mensch, auf dessen Knien sie einst als Ritter gegen feindliche Mächte ins Feld gezogen war und der mit sicherer Hand Bildstöcke und Altarbilder entwarf.
Auch Marthe war offensichtlich entsetzt, wenn auch aus einem anderen Grund.
«Ich hab weiß Gott schon viele Krankenzimmer gesehen», schimpfte sie, «aber hier sieht es schlimmer aus als im Armenspital.»
Angewidert starrte sie auf das schmutzige Bett und das zerrissene Nachthemd ihres Bruders, auf dem sich Speisereste und Kotflecken abzeichneten. Sie riss die Tür zum Flur auf und brüllte hinaus:
«Hiltrud, du bringst sofort ein frisches Nachthemd und Bettlaken.»
Dann öffnete sie das Fenster und kippte wütend den Inhalt des übervollen Nachttopfs hinaus. Frische Morgenluft strömte herein. Sie wandte sich an den Bader.
«Wie steht es um ihn?»
«Jetzt ist er natürlich ziemlich schwach, ich hab ihn vor einer halben Stunde zur Ader gelassen. Aber die Blattern sind es sicher nicht, er hätte sonst Bläschen auf den Rachenmandeln. Und die Urinschau ergibt auch keinen Befund in dieser Richtung.»
«Wieso hat mein Vater dann überall diese Flecken und Pusteln?», fragte Catharina mit zitternder Stimme.
«Die Säfte, immer wieder die Säfte! Ihr seht ja, die Gifte, die in den Organismus eingedrungen sind, wollen wieder hinaus, daher die Pusteln. Die natürliche Ordnung der Kardinalsäfte ist zerrüttet – damit meinen wir Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle. Die müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Da hilft Schröpfen oder
Weitere Kostenlose Bücher