Die Hexengraefin
zerrissenen Saum des Büßergewandes hervorlugen sah.
Ihre nackten Füße hatten Blutspuren auf den Steinfliesen des Gerichtssaales hinterlassen. Hatte man ihr doch erst kürzlich jeweils zehn Rutenstreiche auf die Sohlen verpasst. Den verletzten Arm trug Helene Hagenbusch in einer schmutzigen Schlinge, die Theresia ihr aus Barmherzigkeit angelegt hatte, um den gebrochenen Knochen ein wenig zu entlasten.
›Nein, hübsch sieht das Bauernmensch wirklich nicht mehr aus‹, dachte Munzinger, ›aber das haben die Weibsbilder alle dem Teufel zu verdanken, weil sie sich mit dem eingelassen haben.‹
»Ja, eine Sitzung auf dem Hacker’schen Stuhl, das wäre vielleicht das Beste«, überlegte laut der Oberste Richter. »Das hat bis jetzt noch jede Hexe zum Sprechen gebracht.«
Ganz stimmte das allerdings nicht: Ein paar sehr tapfere Frauen in der Ortenau hatte es bisher gegeben, die sogar den unmenschlichen Qualen dieses Foltergerätes widerstanden hatten.
Man schnallte die Delinquentin auf diesem sogenannten Hexenstuhl fest, und das allein bedeutete schon die größten Schmerzen, war der Sitz doch mit vielen spitzen Metallstiften versehen, die sich durch das Körpergewicht der Frauen in deren Oberschenkel, Gesäß und Geschlecht bohrten.
Aber damit war der brutalen Gemeinheit noch nicht genug getan. Meister Hacker, ein gewissenhafter Scharfrichter, hatte diese wahrhaft teuflische Erfindung darüber hinaus noch sinnreich »verbessert«, indem er in einer unter dem Stuhl angebrachten Eisenpfanne Kohlen zum Glühen brachte, welche die ins Fleisch eindringenden Eisenspitzen zusätzlich erhitzten …
Man ließ die Hexen, wenn sie nicht ganz schnell ein Geständnis ablegten, oft stundenlang auf diesem Marterstuhl sitzen. Nicht wenige waren während dieser Tortur gestorben.
»Was wollt Ihr denn diesmal von mir wissen?«, hörte Munzinger die Angeklagte mit schwacher Stimme fragen. Der Oberste Richter vermeinte, aus ihrer Rede einen gewissen Spott entnehmen zu können, deshalb belegte er sie ohne zu zögern mit zwanzig Rutenstreichen, die der Scheible ihr nach der Verhandlung zusätzlich verabreichen würde.
»Teuflische Hexenbrut, gib endlich zu, dass du den Knaben der Magd deines Vaters geschlachtet hast, um an das Fett zu gelangen, welches du für deine Hexenflugsalbe gebraucht hast.«
»Euer Ehren, ich liebe Kinder und könnte niemals einem kleinen Jungen oder Mädchen etwas Böses antun. Ich schwöre Euch, Ihr Herren vom Gericht, ich bin keine Hexe. Um GOTTES willen, glaubt mir doch. Ich habe weder mit dem Teufel noch mit anderen Dämonen oder Hexen jemals in meinem Leben zu tun gehabt.«
Helene atmete schwer und fuhr mühsam fort: »Mein Leumund ist stets ein sehr guter gewesen. Fragt meine Bekannten und alle Leute in Reschenbach und die Herrschaft auf Schloss Ruhfeld. Die Zeugen müssen sich geirrt haben. Ich bin eine gute Christin, die niemals ohne einen triftigen Grund eine Sonntagsmesse versäumt hat und jedes Jahr zu Ostern ihren Beichtzettel vom hochwürdigen Herrn Pfarrer Hasenauer erhalten hat.
Ich bete jeden Tag zu unserem HERRN JESUS und seiner heiligen Mutter Maria, sowie zu meiner Schutzpatronin, der heiligen Helena. Warum ruft Ihr nicht Zeugen vor Gericht, die für mich aussagen? Warum müsst Ihr mich so unmenschlich quälen? Ich habe doch nichts Böses getan.«
Das Mädchen war schluchzend zusammengebrochen. Aber der Munzinger blieb unbeeindruckt.
»Das Gericht lässt sich von deinem geschickt inszenierten Theater nicht beirren. Da hilft dir jetzt auch dein Weinen nicht. Während der Tortur hast du noch nie eine Träne vergossen. Und das ist ein Zeichen dafür, dass du mit dem Teufel im Bunde bist, der dich davor bewahrt, überhaupt Schmerzen zu empfinden.«
»Was?«, schrie Helene voller Empörung. »Ich hätte keine Schmerzen? Ihr habt ja keine Ahnung, welche schrecklichen, körperlichen Qualen ich durch die Foltern auszustehen habe. Von den Qualen meiner Seele durch die Beleidigungen, Beschimpfungen und die obszönen Reden und Gebärden des Henkers und seiner Gehilfen ganz zu schweigen. Wer fragt danach, was ich jede Nacht im Kerker auszustehen habe? Jeder dieser rohen Schergen glaubt, sich an mir vergehen zu können. Ich zähle die Schändungen durch die gemeinen Kerle gar nicht mehr. Wäre ich wirklich eine Hexe, glaubt Ihr im Ernst, ich ließe mir das so ohne Weiteres gefallen? Merkt denn niemand, dass ich gar keine Hexe sein kann? Ich hätte mich schon längst von Euch allen befreit und
Weitere Kostenlose Bücher