Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
neigten.
Einige Jahre darauf beobachtete man im Meerbusen von Mexiko ein Seeungeheuer mit Froschkopf, hervorstehenden Augen und mit zwei meergrünen Armen, deren breite Hände sich auf die Bordwand eines größeren Bootes gelegt hatten. Sechs Revolverkugeln genügten kaum, das riesige Reptil zum Rückzuge zu zwingen. Das war eine sogenannte »Manta«, deren Arme mit dem Körper mit einer Art Haut, wie bei den Fledermäusen, verbunden sind, und die jener Zeit überall auf dem Meerbusen einen nicht geringen Schrecken hervorrief.
Im Jahre 1873 war es der Kutter »Lida«, der in dem Sunde von Sleat, zwischen der Insel Skye und dem Festlande, in seinem Kielwasser eine lebende, plumpe Masse entdeckte; ferner der »Nestor«, der zwischen Malacca und Penang nahe an einem Ungeheuer des Meeres vorüberkam, das der Schätzung nach zweihundertfünfzig Fuß lang und fünfzig Fuß breit gewesen sein soll. Es hatte einen viereckigen, gelb und schwarz gestreiften Kopf, ähnlich einem Salamander, dessen gewaltige Masse die Officiere und die Passagiere des Schiffes deutlich sehen konnten.
Endlich glaubte 1875 der Befehlshaber der »Pauline«, Georg Drivor, zwanzig Meilen vom Cap San Roque, der Nordostspitze Brasiliens, eine ungeheuere Schlange wahrzunehmen, die sich um einen Walfisch gelegt hatte, gegen den sie gleich einer Boa Constrictor ankämpfte. Diese Schlange, deren Farbe mit der des Meerwals übereinstimmte, sollte hundertsechzig bis hundertsiebzig Fuß lang gewesen sein. Sie spielte scheinbar eine Zeitlang mit ihrem Opfer und zog es endlich mit ins Meer hinab.
Das sind die Beobachtungen, die sich seit dreißig Jahren in den Berichten verschiedener Kapitäne angegeben finden. Ein Zweifel an dem Vorkommen gewisser, wenigstens höchst merkwürdiger Meergeschöpfe kann danach kaum noch aufrecht gehalten werden. Selbst wenn man alle Uebertreibungen ausscheidet und nicht anerkennt, daß die Oceane von Ungeheuern bewohnt seien, die die größten Walfische an Körpermasse um das zehn-oder gar das hundertfache übertreffen, muß man den vorher angeführten Angaben doch wohl einigen Glauben schenken.
Nicht zuzustimmen ist dagegen der Behauptung Jean-Marie Cabidoulin’s, daß das Meer Geschöpfe – Schlangen oder Kopffüßler – von solcher Größe und Stärke beherberge, daß sie Fahrzeuge von größerem Tonnengehalt zum Kentern bringen könnten. Wenn gar viele Schiffe verschollen sind, so daß man von ihnen also niemals nur das geringste wieder gehört hat, so kommt das daher, daß sie durch Collision zu Grunde gegangen, auf Rissen gescheitert und geborsten oder unter Segel im Wüthen der Orkane untergegangen sind. Für Schiffbrüche giebt es genug, leider zu viele Ursachen, ohne daß man, wie der starrköpfige Tonnenbinder, dafür noch Pythonschlangen, Wunderthiere und übernatürliche Hydren heranzuziehen braucht.
Die Windstille zog sich zum großen Verdruß der Officiere und Mannschaften des »Saint Enoch« auffallend in die Länge. Ihr Ende war kaum abzusehen, und erst am 5. Mai stellte sich ein plötzlicher Witterungsumschlag ein. An diesem Tage sprang eine steife Brise auf, mit deren Hilfe das Fahrzeug seine Reise nach Nordosten fortsetzte.
Gleichzeitig tauchte auch ein Schiff auf, das schon vorher denselben Curs steuernd gesehen worden war, und das sich jetzt etwa bis auf eine Seemeile näherte.
Niemand an Bord bezweifelte, daß es ebenfalls ein Walfänger wäre. Entweder hatte es mit dem Walfang noch nicht begonnen oder war dabei nicht vom Glück begünstigt gewesen, denn es schien noch ohne Ladung zu sein, da sein Rumpf ziemlich hoch emporragte.
»Ich möchte wohl wissen, sagte Bourcart, ob dieser Dreimaster, ebenso wie wir, die Küsten von Niedercalifornien aufsucht und vielleicht ebenfalls der Bai Marguerite zusteuert.
– Das wäre ja möglich, antwortete Heurtaux, und wenn es zutrifft, könnten wir ja mit ihm in Gesellschaft segeln.
– Ist es ein Amerikaner, ein Deutscher, ein Engländer oder ein Norweger? fragte der Lieutenant Coquebert.
– Nun, wir können ihn ja ansprechen, meinte der Kapitän Bourcart. Hissen wir unsere Flagge, so wird er die seinige zeigen, dann wissen wir sofort, woran wir sind.«
Eine Minute darauf flatterten die Farben Frankreichs an der Besangaffel des »Saint Enoch«. Das andere Fahrzeug war aber unhöflich genug, nicht zu antworten.
»Ah, kein Zweifel, rief Romain Allotte, das ist ein Engländer!«
An Bord waren auch alle übrigen der Ansicht, daß ein Fahrzeug, das die
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