Die Hofnärrin
einem
anderen Schiff, das sie an Bord nehmen würde. Und währenddessen wurde
die Stadt von Explosionen erschüttert, und wir hörten das Klirren der
springenden Dachziegel und das Gebrüll des Feuers, das Nahrung im
Überfluss fand.
»Das ist keine Niederlage, sondern nur eine Flucht«, sagte ich
verwirrt in das winzige Ohr des Babys, und der Kleine drehte sich und
verzog seinen kleinen Rosenknospenmund gähnend zu einem vollkommenen
»Ooo«, als befände er sich in vollkommener Sicherheit und habe nichts
zu fürchten.
Dann erblickte ich meinen Lord. Ich hätte ihn überall erkannt.
Er schritt, das Schwert in der einen, den Helm in der anderen Hand, mit
dem Gang eines Besiegten heran. Hinter ihm kamen seine Soldaten,
hinkend, blutend, mit gesenkten Köpfen. Er führte sie zu seinem Schiff
und wartete, bis sie die Laufplanke überschritten und sich unter
Geklirr und Gerassel ihrer zerbeulten Rüstungen auf die Deckplanken
geworfen hatten.
»Das reicht, Sir«, sagte der Matrose leise zu Lord Robert, als
das Schiff voll war. Dieser schaute auf wie ein Mann, den man aus
tiefem Schlaf geweckt hat, und sagte: »Aber wir müssen auch die Übrigen
mitnehmen. Ich habe versprochen, sie zum Sieg zu führen, wenn sie mir
dienen. Ich kann sie jetzt nicht im Stich lassen.«
»Wir kommen zurück und holen auch sie«, besänftigte ihn der
Matrose. Er legte seinen starken Arm um Lord Roberts Schultern und
führte ihn entschlossen aufs Schiff. Lord Robert schritt sehr langsam,
wie ein Schlafwandler, seine Augen standen weit offen, doch er sah
nichts.
»Oder sie finden ein anderes Schiff. Legt ab!«, rief der
Matrose dem Mann im Achterschiff zu. Der Mann warf das Tau an Land, und
die anderen ließen die Segel herab. Langsam lösten wir uns vom Kai.
»Ich kann sie nicht hierlassen!«, rief Lord Robert mit einem
Mal und drehte sich zum Land. »Ich kann sie nicht einfach hierlassen!«
Die am Ufer Gebliebenen stießen traurige Rufe aus. »Ein
Dudley! Ein Dudley!«
Der Matrose umklammerte Lord Robert mit aller Kraft und hielt
ihn von der Reling fern, hinderte ihn daran, über Bord zu springen.
»Wir kommen zurück. Wir holen sie«, versicherte er ihm. »Sie
bekommen sicher ein anderes Schiff, und sollte das Schlimmste
passieren, werden die Franzosen ein Lösegeld für sie verlangen.«
»Ich kann sie nicht im Stich lassen!« Lord Robert wehrte sich
heftig. »He! Ihr da! Matrosen! Wendet zum Hafen! Legt wieder an!«
Der Wind fuhr in die Segel, sie blähten sich, und nachdem die
Mannschaft sie richtig gestellt hatte, straffte sich die Leinwand und
brachte das Schiff in Fahrt. Von Calais war ein durchdringender Lärm zu
hören, da nun die Tore der Burg nachgegeben hatten, und das
französische Heer in das englische Kernland auf französischem Boden
eindrang. Unter Qualen wandte sich Lord Robert dem Land zu. »Wir
sollten uns sammeln!«, rief er. »Wir werden Calais verlieren, wenn wir
jetzt aufgeben. Bedenkt doch! Calais! Wir müssen zurück und die
Schlachtreihen neu formieren! Wir müssen kämpfen!«
Immer noch hielt ihn der Matrose umklammert, doch nun wirkte
es eher so, als wollte er seinem jungen Herrn Halt geben. »Wir kommen
zurück«, versicherte er und wiegte den Trauernden. »Wir holen auch die
anderen, und dann erobern wir Calais zurück. Gar kein Zweifel, Sir.
Keiner zweifelt daran.«
Lord Robert ging zum Achterschiff und betrachtete den Hafen,
den ungeordneten Rückzug. Wir konnten den Rauch riechen, der von den
brennenden Häusern über das Wasser drang. Wir konnten die Schreie der
Menschen hören, denn nun rächten sich die Franzosen für die Schmach,
die ihnen vor Jahrhunderten durch die verhungernden Bürger von Calais
zugefügt worden war. Lord Robert machte den Eindruck, als wolle er sich
ins Wasser stürzen und zurückschwimmen, um die Räumung des Hafens
selbst in die Hand zu nehmen, doch selbst er in seinem Grimm konnte
sehen, dass es hoffnungslos war. Wir hatten verloren. England hatte
verloren. So einfach war es – und so grausam –, und
der Weg des wahren Mannes bestand nicht darin, sein Leben in einem
Mummenschanz von Überreaktionen aufs Spiel zu setzen, sondern zu
erwägen, wie die nächste Schlacht zu gewinnen war.
Während der ganzen Reise starrte Lord Robert
über das Heck unseres Schiffes auf die verblassende Küste Frankreichs,
lange noch, nachdem die beeindruckende Silhouette der Festung Calais
hinter dem Horizont versunken war. Als das Tageslicht am grauen
Januarhimmel schwand, stand er
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