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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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immer noch an der Reling und schaute
zurück, und ebenso, als ein kalter, kleiner Mond aufging – er
verharrte auf der Stelle in Erwartung einer Hoffnung am schwarzen
Horizont. Ich wusste es, weil ich hinter ihm auf dem Tauwerk unter dem
Hauptmast saß und ihn beobachtete. Ich, seine Hofnärrin, seine
Vasallin, wachsam, weil er wachte, furchtsam, weil er Schlimmes
fürchtete, krank vor Sorge um diesen Mann und um mich selbst, denn was
würde uns widerfahren, sobald wir englischen Boden betraten? Wir
bildeten schon ein seltsames Trio: eine abtrünnige Jüdin, ein kleiner
Christenbastard und ein vor Kurzem erst freigelassener Verräter, der
seine Mannen in die Niederlage geführt hatte.
    Ich hätte nicht erwartet, dass Lord Roberts
Frau am Kai auf ihn wartete, doch da war sie, beschirmte ihre Augen mit
der Hand und suchte das Deck nach ihm ab. Ich sah sie, bevor sie Lord
Robert erspähte und flüsterte ihm ins Ohr: »Eure Frau …«
    Sofort schritt er die Laufplanke hinunter, um sie zu begrüßen,
doch er nahm sie nicht in seine Arme und zeigte auch sonst keine
Zeichen der Zuneigung. Stattdessen lauschte er aufmerksam ihren Worten
und wandte sich dann an mich.
    »Ich muss sofort zum Königshof, ich muss der Königin erklären,
was in Calais geschehen ist«, sagte er kurz. »Köpfe werden rollen
dafür, meiner vielleicht auch.«
    »Mylord!«, stieß ich hervor.
    »Ja«, bestätigte er zornig. »Ich scheine meiner Familie keinen
großen Gefallen erwiesen zu haben. Hannah, du reitest mit Amy, sie
weilt zurzeit bei Freunden in Sussex. Ich werde dir Nachricht schicken.«
    »Mylord.« Ich trat ein wenig näher an ihn heran. »Ich will
nicht auf dem Lande bleiben.« Mehr konnte ich nicht sagen.
    Robert Dudley grinste. »Natürlich nicht, Liebchen. Ich kann
das Landleben auch nicht ausstehen. Doch einen Monat oder zwei wirst du
schon ertragen müssen. Wenn die Königin mir wegen Unfähigkeit den Kopf
abschlagen lässt, kannst du immer noch versuchen, selbst dein Glück zu
machen. Einverstanden? Doch sollte ich den Besuch überleben, ziehe ich
in mein Haus in London, und du darfst gern wieder in meine Dienste
treten. Wenn du willst. Wie alt ist dieses Kind?«
    Ich zögerte. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich nicht wusste,
wie alt der Junge war. »Er ist fast zwei«, erwiderte ich.
    »Du hast seinen Vater geheiratet?«, wollte er wissen.
    Ich schaute ihn unverwandt an. »Ja.«
    »Und wie heißt der Junge?«
    »Daniel, nach seinem Vater.«
    Er nickte. »Amy wird sich um euch kümmern«, sagte er. »Sie mag
Kinder.« Mit einem Fingerschnippen befahl er seine Frau zu sich. Ich
sah, wie sie ablehnend den Kopf schüttelte und schließlich die Augen
niederschlug, weil Lord Robert seinen Willen durchsetzte. Sie warf mir
einen hasserfüllten Blick zu, und ich erriet, dass er ihr befohlen
hatte, für mich und meinen Sohn zu sorgen; sie hingegen wäre lieber mit
ihm an den Königshof geritten.
    Lord Roberts Pferd stand bereit. Sehnsüchtig schaute ich zu,
wie er und seine Männer aufsaßen. »London«, sagte er kurz und bündig
und lenkte sein Pferd nordwärts, seinem ungewissen Schicksal entgegen.
    Während unseres Rittes durch die eisige
englische Landschaft in jenen kalten Januartagen im Jahre 1558
beobachtete ich Amy Dudley scharf, vermochte mir jedoch keinen Reim auf
sie zu machen. Sie war eine gute Reiterin, schien jedoch an unserem
Ritt nicht viel Freude zu finden, nicht einmal an den schönen, klaren
Tagen, als die Sonne wie eine rote Scheibe am Horizont aufging, ein
paar Rotkehlchen in den Zweigen der entlaubten Hecken herumhüpften und
der morgendliche Frost das Blut in den Adern zum Singen brachte. Ich
vermutete, es sei die Abwesenheit ihres Mannes, die sie so verdrießlich
machte, aber ihre Gesellschaftsdame, Mrs. Oddingsell, unternahm keinen
Versuch, Amy Dudley aufzuheitern, und Lord Robert erwähnte sie
überhaupt nicht. Sie ritten schweigend, als seien sie nichts anderes
gewöhnt.
    Auf dem ganzen Weg von Gravesend nach Chichester trug ich das
schwere Kind auf meinen Rücken gebunden, und jeden Abend schmerzte er
von der Anstrengung. Seit Daniels Geliebte mir ihr Kind in die Arme
geworfen hatte, hatte dieses außergewöhnliche kleine Wesen kaum einen
Laut von sich gegeben. Ich hatte seine geflickten Lumpen gegen grobes
Linnen ausgetauscht, das ich mir an Bord geliehen hatte, und den
Kleinen überdies in eine gestrickte, wollene Matrosenweste gehüllt.
Eigentlich schleppte ich ihn mehr oder weniger herum wie eine

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