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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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und das leise Pfeifen des Windes.

Sommer
1553
    L ady Maria hielt sich
in ihrer Burg in
Hunsdon im County Hertfordshire auf. Drei Tage brauchten wir für die
Reise, die uns zunächst in nördlicher Richtung aus London hinausführte,
dann folgten wir einer gewundenen Straße durch schlammige Täler und
erklommen mühsam die steilen Hügel des North Wealds. Einen Teil des
Weges legten wir mit anderen Reisenden zurück und kehrten zur Nacht
ein, am ersten Abend in einem Landgasthof, am zweiten in einem
prächtigen Landsitz, der einst ein Kloster gewesen war und sich nun in
der Hand eines Protestanten befand, der es zu seinem eigenen Vorteil
von jeglicher Häresie geläutert hatte. Dort konnte man uns nichts
Besseres anbieten als den Heuboden über dem Stall, und der Fuhrmann
murrte, dies sei früher das gastfreundliche Haus mildtätiger Mönche
gewesen, in dem der Reisende gewiss war, ein gutes Mahl zu bekommen und
ein bequemes Bett und ein frommes Gebet, das ihn auf der Reise
begleitete. Er sei hier einmal eingekehrt mit seinem todkranken Sohn,
und die Mönche hätten den Jungen in ihre Obhut genommen und mit
Kräutern und großer Kunstfertigkeit gesund gepflegt. Dafür hätten sie
ihm keinen Penny berechnet, sondern gesagt, sie handelten nur nach
Gottes Willen, wenn sie den Bedürftigen helfen würden. Das Gleiche habe
für jedes große Kloster und jede Abtei landauf, landab gegolten. Doch
nun befänden sich sämtliche Glaubenshäuser im Besitz der mächtigen
Lords, der Männer am Königshofe, deren Losung lautete, die Welt wäre
besser dran, wenn man die englische Kirche ihrer Besitztümer beraube.
So hätten sie es denn getan – und den Raub in ihre eigenen
Taschen gesteckt. Heutzutage seien die Speisung der Armen am
Klostertor, die Herstellung kostenloser Arznei in den
Nonnenhospitälern, der Unterricht für die Kinder und die Versorgung der
alten Menschen in den Dörfern ebenso verschwunden wie die wunderschönen
Statuen, die leuchtenden Handschriften und die großen Bibliotheken der
alten Klöster. Der Fuhrmann gab mir zu verstehen, dass dies im ganzen
Lande der Fall sei. Die mächtigen Glaubenshäuser, das ehemalige
Rückgrat Englands, seien der Männer und Frauen beraubt worden, die von
Gott dazu berufen waren, in diesen Häusern zu dienen. Das öffentliche
Wohl sei in persönliches Gewinnstreben verwandelt worden, und nie mehr
werde es ein öffentliches Wohl geben.
    »Wenn der arme König stirbt, wird Lady Maria auf den Thron
kommen und alles wieder rückgängig machen«, behauptete er. »Sie wird
eine Königin für das Volk sein. Eine Königin, welche die alten Sitten
und Gebräuche wieder einführt.«
    Ich brachte mein Pony zum Stehen. Wir waren mitten auf der
einsamen Landstraße, und niemand konnte uns hören, doch ich hatte stets
Angst vor allem, was auch nur entfernt nach Intrige roch.
    »Und schau dir nur diese Straßen an«, fuhr er fort, drehte
sich auf seinem Kutschbock um und klagte über seine Schulter hinweg.
»Staubig im Sommer und schlammig im Winter, kein Schlagloch wird
aufgefüllt, kein Straßenräuber gefasst. Und weißt du, warum das so ist?«
    »Ich reite voraus, du hast recht, der Staub ist schrecklich«,
sagte ich.
    Er nickte und bedeutete mir, an seinem Karren vorbeizuziehen.
Hinter meinem Rücken ging die endlose Litanei von Beschwerden
unverdrossen weiter.
    »Denn wenn die Heiligtümer erst einmal geschlossen sind,
kommen auch keine Pilger mehr, und wenn keine Pilger mehr umherziehen,
bleibt die Straße den schlechtesten Menschen überlassen und denen, die
sie überfallen. Nie ein freundliches Wort, nie ein anständiges Haus,
nie eine sichere Straße …«
    Ich lenkte meine Stute auf eine niedrige Böschung, deren
weicher Boden ihren kleinen Hufen besser tat, und behielt den Abstand
zu dem Fuhrwerk bei.
    Da ich das England nicht kannte, das nach Meinung des
Fuhrmannes verloren war, konnte ich nicht beurteilen, inwieweit es
heruntergekommen war. An diesem Morgen im Frühsommer erschien es mir
fast wie ein Märchenland. Rosen wuchsen in den Wallhecken, und ein
Dutzend Schmetterlinge tanzte über Geißblatt und Bohnenblüte. Die
Felder waren in schmucken, schmalen Streifen kultiviert, die mich an
die Buchrücken in der Druckerei meines Vaters erinnerten. Auf den
Hügelhängen grasten Schafe, die sich vor dem fetten, feuchten Grün wie
kleine Plusterbälle ausnahmen. Diese Landschaft war so anders als meine
Heimat, dass ich sie nur bestaunen konnte: kleine Dörfer mit
Fachwerkhäusern;

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