Die Hofnärrin
Dächer, mit goldenem Reet gedeckt; und unzählige
kleine Bäche, in deren Furten die Straßen glitzernd einzutauchen
schienen. Dieses Land war so feucht, dass es mich nicht wundernahm,
wenn an jedem Cottage reiches Grün emporrankte, selbst auf den
Misthügeln wiegten sich Gänseblümchen im Wind, und auf den Dächern
älterer Häuser wuchs Moos in der Farbe von Limonen. Mit meiner Heimat
verglichen war dieses Land vollgesogen wie ein
Druckerschwamm – das pralle Leben.
Zuerst fielen mir die Dinge auf, die ich vermisste. Ich sah
keine Weinreben, keine gekrümmten knorrigen Olivenbäume. Es gab keine
Orangenhaine, keine Zitronen und Limetten. Die Hügel waren rund und
grün, nicht hoch und heiß und felsig, und der Himmel über ihnen war mit
Wolken gesprenkelt, nicht erbarmungslos blau wie in meiner Heimat.
Außerdem sah ich viele Lerchen und keine kreisenden Adler.
Ich geriet in einen Zustand der Verzückung, dass ein Land so
üppig und grün sein konnte – doch selbst inmitten dieses
fruchtbaren Reichtums gab es Hunger. Ich sah ihn in den Gesichtern der
Dörfler, in den frisch aufgeworfenen Grabhügeln auf den Kirchhöfen. Der
Fuhrmann hatte recht: Das Gleichgewicht, das England für eine kurze
Generation Frieden gebracht hatte, war unter dem letzten König zerstört
worden, und der neue setzte dessen Werk fort. Die mächtigen
Glaubenshäuser hatten schließen müssen, und die Männer und Frauen, die
in ihnen Gott gedient hatten, waren auf die Straße gesetzt worden. Die
großen Bibliotheken waren in alle Winde zerstreut und der Zerstörung
preisgegeben worden – ich hatte genug zerrissene Manuskripte
im Geschäft meines Vaters gesehen, um zu wissen, dass Jahrhunderte der
Gelehrsamkeit fortgeworfen worden waren aus Angst vor der Anklage wegen
Ketzerei. Die goldenen Sakralgefäße der reichen Landeskirche waren von
einigen mächtigen Männern genommen und eingeschmolzen worden, die
schönen Statuen und Kunstwerke, einige von ihnen an Füßen und Händen
glatt geschliffen von Millionen Küssen der Gläubigen, waren
heruntergerissen und zerschlagen worden. Eine gewaltige Welle der
Zerstörung war über ein reiches, friedliches Land gerast, und es würde
Jahre dauern, bis die Kirche dem geistlichen Pilger oder dem müden
Reisenden wieder einen sicheren Hafen bieten konnte. Wenn es überhaupt
je wieder einen geben würde.
Es war so ein Abenteuer, frei in einem fremden Lande zu
reisen, dass es mir geradezu leidtat, als der Fuhrmann einen Pfiff
ausstieß und mir zurief: »Hunsdon. Wir sind da!« Schlagartig wurde mir
bewusst, dass die sorglosen Tage vorüber waren und dass nun gleich zwei
Aufgaben auf mich warteten: einmal die der heiligen Närrin in einem
Hause, in dem Glaube und Vertrauen höchste Bedeutung hatten, und zum
Zweiten die der Spionin in einer Umgebung, in der die meisten mit
Verrat und Einflüstereien beschäftigt waren.
Ich schluckte. Meine Kehle schmerzte vom Staub der Reise und
vor Angst. Ich lenkte mein Pferd neben den Wagen, und nebeneinander
klapperten wir durch das Tor am Pförtnerhaus. Mir war danach, mich
hinter den mächtigen Karrenrädern zu verstecken, denn das Haus schien
mir voller lauernder Fenster, die auf die Zufahrt hinausgingen und
unsere Ankunft zu beobachten schienen.
Lady Maria war in ihren Gemächern und
widmete sich der Schwarzstickerei, jener berühmten spanischen Stickerei
mit schwarzem Faden auf weißem Leinen. Eine ihrer Ehrendamen stand an
einem Lesepult und las ihr vor. Das Erste, was ich beim Eintritt in das
Gemach hörte, war ein falsch ausgesprochenes spanisches Wort, und Lady
Maria lachte fröhlich auf, als sie mein Zusammenzucken sah.
»Ach, endlich! Ein Mädchen, das Spanisch spricht!«, rief sie
aus und streckte mir ihre Hand zum Kuss hin. »Wenn du es doch auch nur
lesen könntest!«
Ich überlegte einen Augenblick. »Ich kann Spanisch lesen«,
sagte ich, da ich es nur recht und billig fand, dass die Tochter eines
Buchhändlers in der Lage sein sollte, ihre Muttersprache zu lesen.
»Oh, du kannst es? Und Latein?«
»Latein nicht«, erwiderte ich bedachtsam, da ich aus der
Begegnung mit John Dee gelernt hatte, meine Bildung nicht allzu sehr zu
betonen. »Nur Spanisch, und zurzeit lerne ich auch Englisch zu lesen.«
Lady Maria wandte sich ihrer Kammerzofe zu. »Das wird dir
gefallen, Susan! Nun musst du mir an den Nachmittagen nicht mehr
vorlesen.«
Susan gefiel es augenscheinlich gar nicht, von einer Närrin in
Livree ersetzt zu werden, doch sie nahm wie
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