Die Homoeopathie-Luege
Gespräch eine bis mehrere Stunden widmet, dabei intensiv, einfühlsam und in der Sprache der Patienten nachfragt, statt sich kurz angebunden hinter medizinischen Fachtermini zu verschanzen. Mit dieser Extraportion Zuwendung errichtet der Heilpraktiker oder Arzt den ersten und wohl wichtigsten Eckpfeiler des Placebo-Effekts. Ein Homöopath, der auch noch zutiefst davon überzeugt ist, die Selbstheilungskräfte seines Patienten anregen zu können, strahlt womöglich mehr Optimismus aus als ein Mediziner, der weiÃ, dass eine Therapie ohnehin nicht bei allen Kranken anschlägt â und beeinflusst auch auf diesem Weg den Genesungsprozess.
Nach mehreren ausführlichen Sitzungen bekommt man vom Homöopathen ein Mittel verschrieben, das nicht nur optimal zur eigenen Person passen, sondern auch im Einklang mit dem eigenen Organismus diesen zur Selbstheilung anregen soll â und das praktisch ohne unangenehme Nebenwirkungen. Viel höhere Erwartungen lassen sich kaum wecken.
Vielleicht hat jemand zum ersten Mal ein Homöopathikum ausprobiert und gute Erfahrungen damit gemacht â selbst wenn die Kügelchen oder Tabletten an sich überhaupt keine Wirkung gezeitigt haben: verbreitete Beschwerden wie Erkältungen, Durchfall bei Kindern oder Milchstau bei stillenden Müttern können sich auch ohne Therapie innerhalb weniger Stunden oder Tage bessern. Chronische Leiden wie Migräne, Rückenschmerzen oder Neurodermitis zeichnen sich durch ein ständiges Auf und Ab aus: Schübe wechseln ab mit beschwerdefreien Episoden. Eine Therapie beginnt man oft dann, wenn es einem besonders schlecht geht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Symptome dann bald wieder nachlassen, ist extrem hoch â egal ob mit oder ohne Behandlung. Auch wenn solche eher statistischen Effekte keine Placebo-Effekte im engeren Sinne darstellen, hinterlassen sie das wohlige Gefühl, ein paar Kügelchen hätten die schnelle Genesung herbeigeführt, und bereiten mit diesem Lernprozess den Boden für künftige Placebo-Effekte.
Ob auch das soziale Lernen geeignet ist, den Placebo-Effekt der Homöopathie zu erklären, lässt sich zurzeit nicht sicher sagen. Wir halten es aber nicht für ausgeschlossen, dass jemand, der im Bekanntenkreis ständig eindrucksvolle »Heilungen« durch Homöopathie beobachtet oder davon hört, sich dabei auch den Placebo-Effekt quasi abgucken könnte.
Nicht zuletzt sind die Patienten, die homöopathische Konsultationen in Anspruch nehmen, möglicherweise besonders empfänglich für Placebo-Effekte â nicht weil es sich dabei um spirituell oder esoterisch besonders interessierte Menschen handelt, sondern weil viele schlicht eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben. Oft konsultieren Menschen mit lästigen chronischen Leiden nach erfolgloser medizinischer Therapie einen Homöopathen. Das belegt eine Beobachtungsstudie von Forschern der Berliner Charité, durchgeführt an knapp 4000 Patienten in 103 homöopathischen Arztpraxen in Deutschland und der Schweiz. Zu den Stärken der Studie gehörte es nach Ansicht der Autoren, dass sie die klassische Homöopathie in Deutschland und der Schweiz unter Alltagsbedingungen abbildete, man könnte ihr also unterstellen, dass die teilnehmenden Patienten einigermaÃen typisch waren. Praktisch alle (97 Prozent) Diagnosen der teilnehmenden homöopathischen Ãrzte bezogen sich auf chronische Krankheiten: Frauen kamen besonders oft mit Migräne, Männer mit Allergien, Kinder wurden mit Neurodermitis gebracht. Viele der erwachsenen Patienten schleppten sich schon zehn Jahre und länger mit ihren Krankheiten durchs Leben, Kinder vier Jahre und mehr. »Die Ergebnisse unserer Studie demonstrieren, dass vor allem solche Patienten homöopathische Behandlung suchen, die unter langwieriger, chronischer Krankheit leiden«, schlussfolgern die Autoren. Laut einer Stellungnahme der Bundesärztekammer zu Placebos in der Medizin könnte sich aber wiederum gerade dieser Umstand auf die Beeinflussbarkeit einer Person auswirken. Demnach »sollten gerade Patienten mit hohem Leidensdruck für ärztliche Interventionen und Instruktionen besonders empfänglich sein«.
Schon an dieser Stelle könnte man den Sack zubinden und zu dem Fazit gelangen: Homöopathie â ungemein wirksam als Gesamtpaket. Doch es gibt sogar noch mehr Faktoren, die einem den Eindruck geradezu
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