Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
jeden Teil seines Gesichtes erfasste, »hier ist es. Finden Sie es nicht einfach alles herrlich?«
Ich folgte seinem Blick und schüttelte den Kopf, während meine Gedanken verwirrt durch ein Labyrinth rasten.
»Ich verstehe immer noch nicht, was ich tun soll, Mr Endfield«, sagte ich.
»Wir sollten mit dem Einfachsten beginnen und uns dann hindurcharbeiten«, sagte er. »Ich werde Ihnen das Szenario dafür schaffen. Theaterregisseure sagen, glaube ich, den Ort der Handlung festlegen, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte ich.
»Gut. Das ist Ihr Haus oder Ihre Wohnung. Sie müssen sich vorstellen, jetzt allein zu leben. Jedes Kind muss einmal sein Nest verlassen«, sagte er. Dabei verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck wie bei jemandem, der einer unangenehmen Wahrheit ins Gesicht sehen muss. »Sogar in der Bibel steht das. Aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Kinder ohne Hilfe oder schlecht beraten gehen lassen müssen, nicht wahr?«
»Nein«, sagte ich, obwohl ich immer noch nicht wusste, wohin das alles führte.
»Natürlich nicht. Natürlich nicht«, murmelte er. Er sah aus, als hätte er selbst vergessen, worum es ging. Plötzlich hob er den Kopf mit strahlendem Blick. »Also, heute Abend haben Sie einen Produzenten eingeladen, der Interesse an Ihnen bekundet hat. Natürlich sind Sie aufgeregt deswegen. Es ist Ihre erste Erfahrung dieser Art. Bestimmt haben Sie sich solche Dinge schon ausgemalt, oder?«
»Nein«, sagte ich. »Ich habe doch gerade erst angefangen zu studieren. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich für eine professionelle Aufführung vorsprechen kann.«
»Nein, nein, nein«, widersprach er, als ruinierte ich sein Szenario. »Sobald Sie die Bühne betreten haben, sind Sie für all dieses anfällig. Sie sind bloßgestellt. Dort draußen lauern sie alle, Raubtiere, die die Jungen und Unschuldigen so wie Sie niederreißen. Sie sind nicht mehr in meinem Haus. Sie stehen nicht mehr unter meinem Schutz.«
»Nicht mehr in Ihrem Haus?«
»Genau«, bestätigte er. »Morgen könnte so jemand nach der Schule auf Sie zukommen und sagen: ›Rain Arnold, ich habe Sie beobachtet und ich finde, Sie könnten die perfekte Besetzung für eine Inszenierung sein, die ich gerade vorbereite. Ich möchte gerne, dass Sie vorsprechen, und wäre gerne persönlich daran beteiligt.‹
Fühlten Sie sich dann nicht geschmeichelt? Na los«, drängte er. »Mal ehrlich, meine Liebe? Wären Sie das nicht?«
»Doch«, gab ich zu.
»Genau. Also«, sagte er und ging wieder zurück zu dem Schrank. »Um den Anlass geht es. Was werden Sie anziehen?«
»Nichts von all dem«, sagte ich und deutete auf den Schrank. »Davon passt mir nichts.«
Er lächelte schief und schüttelte den Kopf.
»Wenn Sie Ihren Unglauben nicht beiseite schieben können, können wir das nicht machen. Ich haben Ihnen doch gesagt, dass Sie die Größen nicht beachten sollen.Wählen Sie ein Kleidungsstück aus«, befahl er mir mit angespanntem Gesicht und sich verfinsterndem Blick.
Es war, als ob ein winziger Wecker in meiner Magengrube klingelte und mein heftig klopfendes Herz alarmierte.
Er sah aus wie ein Feuerwerkskörper, der jeden Moment explodierte, wenn ich das Falsche sagte oder tat.
»In Ordnung«, sagte ich. Ich wählte ein lavendelfarbenes Kleid. »Wie ist es damit?«
Er nickte.
»Ja, eine sehr gute Wahl, nicht zu offiziell, aber auch nicht zu lässig. Sie haben den richtigen Instinkt. Das wusste ich. Gut. Ich gehe hinaus, und Sie ziehen sich um. Dann werden Sie die Türklingel hören. Sie lassen mich herein, und wir fangen mit unserer Übung an«, sagte er. »Ich lasse Ihnen ein wenig Zeit, damit Sie sich um Make-up und Frisur kümmern können. Das werden Sie ja wohl«, fügte er hinzu, schaute sich im Zimmer um, seufzte und ging hinaus.
Ich stand dort mit dem Kleid auf dem Bügel in der Hand und schaute ihm mit offenem Mund nach. Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir so etwas ausmalen können, als ich Großonkel Richard kennen lernte. Warum brauchte ein so erfolgreicher und geachteter Mann solche Fantasien? Ich war neugierig, wie weit diese Posse gehen würde, aber die Versuchung war auch groß, einfach aus dem Cottage davonzulaufen, ohne mich noch einmal umzuschauen.
»Sie wollen einen guten Eindruck machen«, rief er aus dem anderen Zimmer, »aber versuchen Sie, sich das nicht anmerken zu lassen. Frauen, bei denen das zu offensichtlich ist, werden nicht ernst genommen. Meine Mutter pflegte immer zu sagen,
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