Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
wandte sich
wieder ihren Vorbereitungen zu. »Sie hat mich zum Narren gehalten, also wirklich. Die ganze Zeit dachte ich, sie ist wie ein kleines Schulmädchen und braucht jemanden, der sie bei der Hand nimmt und ihr zeigt, wo’s langgeht. Hängt hier die ganze Zeit schmollend herum, geht jedes Mal in die Luft, wenn ich sie anspreche, dass mal jemand etwas von ihr will oder mit ihr bumst. Jetzt stehe ich doch da wie ein Dummkopf, was?«
»Das macht Ihnen Sorgen? Wie Sie dabei dastehen? Was ist denn mit ihr?«
»Wie man sich bettet, so liegt man«, murmelte sie.
»Das stimmt nicht. Manchmal wird man auch in ein Bett gelegt und hat keine andere Wahl«, entgegnete ich.
Sie schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Tja, auf jeden Fall können wir nicht viel tun, oder? Mrs Endfield wird keine Schlampe in ihrem Haus dulden.«
»Sie wissen doch, dass Mary Margaret keine Schlampe ist, Mrs Chester.«
Sie wandte sich ab.
»Wenn wir ihr nicht helfen, wer dann?«
»Es gibt viel zu tun, und es hat keinen Zweck, wenn du und ich uns die Mäuler zerreißen.«
»Nein«, bestätigte ich. »Überhaupt keinen Zweck.«
Ich drehte mich um und ging in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Niemand erwähnte Mary Margaret beim Abendessen. Ich hörte auch nicht,
dass Großtante Leonora etwas zu Großonkel Richard sagte. Sie war jetzt, wie Mrs Chester vorhergesehen hatte, eine unerwünschte Person. Mir tat sie jedoch Leid. Deshalb verließ ich nach dem Abendessen das Haus und machte mich auf den Weg zu Mary Margaret.
Ich hatte ihre Adresse von Mrs. Chester und wusste, dass das Haus in der Nähe des Cromwell Hospital lag. Mary Margaret und ihre kranke Mum, wie sie sie nannte, lebten anscheinend in einer Wohnung im ältesten Gebäude der Straße. Die Tür sah aus, als würde sie jeden Moment von den rostigen Angeln fallen, und die Treppe war so schmal, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie gleichzeitig jemand hinaufund heruntergehen konnte. Mary Margaret und ihre Mutter wohnten im dritten Stock. Die knarrenden Stufen erstreckten sich über sechs kleine Treppen. Ich hatte Angst, mich zu sehr auf das wackelige Geländer zu stützen, denn ich sah selbst im Licht der schwachen nackten Glühbirnen, die kaum ausreichten, dass es gebrochen und locker war.
Als ich die Tür erreichte, klopfte ich und wartete. Ich hörte einen Radiokommentator und dann Musik. Ich klopfte noch einmal, lauter, fester, darauf wurde das Radio leiser gestellt und man hörte jemanden über einen Holzboden schlurfen. Eine Kette wurde gelöst und die Tür ein paar Zentimeter geöffnet. Eine kleine Frau mit schütter werdendem grauem Haar, das wild gelockt war wie geborstene Klaviersaiten, steckte den Kopf durch den Spalt. Anscheinend
schaute sie direkt auf meine Brust. Ihre Stirn runzelte sich zu tiefen Falten. Ich vermutete, dass es Mary Margarets Mutter sein musste.
»Was gibt es?«, fragte sie. Ihre Nase zuckte wie die eines Kaninchens. Versuchte sie auch, mich zu riechen, fragte ich mich.
»Ich bin gekommen, um Mary Margaret zu besuchen. Ich heiße Rain Arnold. Ich arbeite mit ihr zusammen im Endfield Place.«
Sie reagierte nicht, sondern streckte weiter den Kopf zur Tür heraus und zuckte mit der Nase, als wollte sie entscheiden, ob ich ein Witzbold war oder nicht. Dann drehte sie den Kopf leicht, so dass ihr Ohr besser sichtbar wurde.
»Wer, sagten Sie, sind Sie?«
»Rain Arnold. Ich arbeite mit Mary Margaret im Endfield Place«, wiederholte ich langsam.
»Einen Augenblick«, sagte sie und schloss mir abrupt die Tür vor der Nase. Ich hörte Schritte hinter der Tür und Gemurmel. Diese Wände waren nicht sehr dick. Wenn jemand Verdauungsbeschwerden hatte, wussten die Nachbarn das sofort. Über mir hörte ich Gelächter und rechts hörte sich jemand Rockmusik an.
Mary Margarets Mutter öffnete diesmal die Tür ein bisschen weiter. Sie stand dahinter und schaute beiseite, den Kopf leicht nach rechts geneigt. Sie trug einen hellblauen Morgenmantel und abgetragene Lederpantoffeln. An den Fußgelenken hatte sie leuchtend rote Flecken. Sie war stämmig, hatte
schwere Brüste und einen kurzen Hals. Es sah aus, als hätte ihr Körper einfach aufgehört zu wachsen und ihr Kopf wäre im letzten Moment aufgesetzt worden. Im Zimmer war kaum Licht und ihr Gesicht war von Schatten bedeckt, dennoch konnte ich sehen, dass sie die dünnen Lippen und die gleichen Züge wie Mary Margaret hatte.
»Sie sagt, Sie sollen gehen«, teilte sie mir mit.
»Ich muss sie
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