Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
nicht frigide. Ich sage ja nicht, dass du ein Eisklotz sein sollst, aber du solltest dich nicht einfach hinlegen wie ein Stück Fleisch auf einem Teller«, antwortete ich ihr.
Wieder lachten beide. Sie begannen mich zu ärgern.
»Warum ist das so lustig?«
»Wir finden nicht, dass wir Fleischstücke sind, aber vielleicht denken wir das von einigen der Jungen, mit denen wir zusammen gewesen sind, was, Catherine?«
» Oui. Große Wurst, was?«
Sie lächelten lüstern und nickten.
»Vielleicht sind die Dinge für euch und dort, wo ihr herkommt, anders«, murmelte ich trocken und schaute zur Tür, damit Randall mich aus diesem Gespräch rettete.
»Du bist zu ernst, chérie« , meinte Leslie. Sie legte ihre Hand auf meine. »Verliebt zu sein, einen Geliebten
zu haben, das sollte doch auch amüsant sein, oder?«
»Amüsant?«
»Vielleicht ist das nicht das richtige Wort, Catherine?«
»Vergnüglich, erfreulich«, erklärte Catherine. »Wenn du über jeden kleinen Kuss, jede Berührung ächzt und stöhnst und seufzt und weinst, dann entgeht dir die raison d’ètre , der Zweck des Lebens. Sein bedeutet genießen. Joie de vivre, nein?«
»Vielleicht hast du Recht«, sagte ich, als Randall zurückkehrte.
»Recht womit?«, fragte er.
»Liebe zu machen«, brachte Leslie eifrig vor.
»Was?«
»Sollten wir nicht gehen?«, fragte ich schnell.
»Und Liebe machen?«, neckte Leslie.
»Liebe machen mit den Londoner Sehenswürdigkeiten«, entgegnete, ich und sie lachten wieder.
»Touché, chérie . Kommen Sie, zeigen Sie uns Ihr London, Monsieur Glenn«, erklärte Catherine und sprang auf. Sie hakte sich bei Randall unter und zog ihn zur Eingangstür. Hilflos schaute er zu mir zurück. Leslie und ich folgten ihnen, und wir steuerten gemeinsam auf die U-Bahn-Station und unseren gemeinsamen Tag auf der Themse zu.
Wie Randall geplant hatte, nahmen wir ein Sightseeing-Boot flussaufwärts und stiegen am Tower aus. Jetzt, wo wir drei zu seiner Gruppe gehörten, glich Randall mehr denn je einem Reiseführer, aber er alberte
nicht herum, wie er es mit mir getan hatte, sondern blieb ernst wie ein Lehrer.
»Wilhelm der Eroberer legte den Grundstein zum Tower. Er diente als militärische Zitadelle, königliche Residenz, politisches Gefängnis, Münze, Observatorium und Aufbewahrungsstätte für königliche Besitztümer von wertvollen Dokumenten bis zu Juwelen.
»Diese Männer in den leuchtend roten, schwarzen und goldenen Gewändern sind als Yeoman Warders bekannt«, sagte er.
»Der da sieht sehr gut aus«, flüsterte Leslie.
Randall ignorierte sie.
»Der White Tower ist das Hauptgebäude. Er war die Heimstatt einer langen Reihe mittelalterlicher Könige, die den obersten Stock bewohnten, aber alle sind nur am Bloody Tower interessiert.«
»Warum?«, fragte Catherine.
»Weil dort im fünfzehnten Jahrhundert die gruseligen Morde an dem jungen Prinzen Edward V. und dem Herzog von York stattfanden.«
»Ich möchte die Kronjuwelen sehen«, rief Leslie. »Wer will sich schon ein dreckiges altes Gefängnis anschauen?«
»Ihr könnt alles sehen«, sagte Randall entschieden. Die Schwestern lächelten einander an und genossen es offensichtlich, dass Randall die Kontrolle übernahm. Ich fing auch an zu lachen.Vielleicht hatten sie Recht, vielleicht nahm ich das Leben zu ernst. Es machte mehr Spaß, sorglos zu sein.
Nach unserer Tour wollten die Schwestern etwas essen, deshalb kauften wir Brot, Käse und zu meiner Überraschung zwei Flaschen Wein. Als ich sie danach fragte, schauten sie mich an, als wäre ich mit dem armen toten Prinzen weggeschlossen gewesen.
»Wie isst du denn ohne Wein?«, wollte Leslie wissen.
Ich erklärte ihnen, dass die Erwachsenen dort, wo ich herkam, nicht wollten, dass jüngere Leute Wein tranken.
»Bei uns auf den Straßen gibt es viel zu viele Säufer, die billigen Wein aus Pappbechern trinken.«
Schließlich blickten sie doch ernst drein, als ich ihnen einige der Szenen beschrieb, deren Zeuge ich geworden war.
Männer, die über Bürgersteige krochen, heimatlos, die in Kartons oder in engen Gassen hausten und sich voll laufen ließen mit billigem Wein, mit dem man vermutlich den Lack von einem Auto abbeizen konnte.
Wie Randall hatten auch die Schwestern ein privilegiertes Leben geführt. Sie wohnten in einem Château außerhalb von Paris auf einem Anwesen, das an die Seine grenzte. Auch sie hatten nur Privatschulen besucht, und meine Geschichten waren für sie so faszinierend wie ein
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