Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
Gottheiten dachte, Göttinnen und Götter, die auf der Erde gelegentliche Besuche abstatteten und den Erdlingen Gelegenheit gaben, ihnen die Hand zu küssen oder in ihrem Schatten zu stehen.
»Ich finde es unfair, dass du noch nicht geadelt worden bist, Richard«, beklagte sie sich. »Niemand verdient diese Ehre mehr als du.«
»Geduld, meine Liebe«, sagte er und faltete seine Zeitung zusammen. Er starrte sie einen Moment an. »Geduld und nicht jeden wissen lassen, wie sehr dir daran liegt, lautet das Rezept«, warnte er sie.
Er wandte sich an mich, weil ich gerade dort stand und ihnen zuhörte. Ich war immer noch fasziniert von der Art, wie sie sprachen, nicht nur mit mir und den anderen Dienstboten des Hauses, sondern auch
miteinander. Als stünden sie auf einer Bühne und gäben eine Vorstellung vor Publikum.
Er gab mir jedoch das Gefühl, gelauscht zu haben, deshalb fuhr ich rasch herum, um in die Küche zurückzukehren.
»Einen Augenblick, Miss Arnold«, hielt er mich auf.
Langsam drehte ich mich um und erwartete, zurechtgewiesen zu werden.
»Ja?«
Er griff in die Innenseite seiner Jacketttasche und zog einen schmalen Umschlag hervor.
»In Anbetracht dessen, weswegen Sie hauptsächlich hier sind, dachte ich, Sie wüssten dies zu schätzen«, sagte er.
»Was ist das?«, fragte ich überrascht. Ich trat vor, um den Umschlag entgegenzunehmen. Er wartete, während ich ihn öffnete. »Theaterkarten?«
»Zwei Karten für die heutige Vorstellung von Macbeth im Royal National Theatre, dem Old Vic. Ich dachte, Sie würden gerne einen Freund mitnehmen, vielleicht jemanden von der Schauspielschule.«
»Ist das nicht nett«, sagte Großtante Leonora. »Sehr aufmerksam von dir, Richard.«
»Ja. Danke«, sagte ich, völlig verblüfft von diesem unerwarteten Geschenk. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass er nicht besonders viel von mir hielt. Manchmal wenn er mich anschaute, hatte er einen so verblüfften Gesichtsausdruck, als wüsste er gar nicht, dass ich hier war, oder hätte es vergessen. Vielleicht glaubte er auch, ich würde nicht lange bleiben.
»Sie brauchen keine Abendgarderobe, aber Sie sollten sich entsprechend anziehen«, wies Großonkel Richard mich an. »Es liegt am Südufer der Themse. Bestimmt haben Sie keine Schwierigkeiten, den Weg dorthin zu finden, jetzt da Sie eine erfahrene Reisende in London sind«, fügte er hinzu.
Ich lächelte und dankte ihm erneut.
»Das ist doch gar nichts. Ich besitze einen gewissen Einfluss bei diesen Theaterleuten und das sind sehr gute Plätze«, sagte er. »Sagen Sie mir, was Sie von der Aufführung halten. Macbeth ist eines meiner Lieblingsstücke«, fügte er hinzu. »Vielleicht besuchen Mrs Endfield und ich eines Tages eine Vorstellung, in der Sie die Lady Macbeth spielen«, sagte er mit einem breiten Lächeln. Dann, als sei ihm plötzlich klar geworden, wie freundlich er war, griff er nach seiner Zeitung, schlug sie lautstark auseinander und fing wieder an zu lesen.
Ich warf meiner Großtante Leonora einen Blick zu, deren Gesicht in einem geistesabwesenden Ausdruck erstarrt war, mit dem sie durch mich hindurch sah. Manchmal vermittelten die beiden mir das Gefühl, in ihre eigene Welt einzutauchen und wieder zurückzudriften, ohne einander oder sonst irgendjemanden wahrzunehmen.
Als ich in die Küche ging, merkte ich an der Art, wie Mrs Chester mich anschaute, dass sie das Gespräch im Speisezimmer mit angehört hatte.
»Du machst dich wohl ganz gut hier für einen Yankee«, kommentierte sie und warf Mary Margaret
einen Blick zu, bevor sie sich wieder an mich wandte. »Nich’ne Spur von Faulheit bei dir festzustellen, so viel ist mal sicher. Du erledigst deine Pflichten, wie sie dir aufgetragen werden, ohne zu stöhnen und zu jammern.«
»Danke«, sagte ich. »Allerdings sind Yankees nicht faul. Man kann nicht die größte Nation der Welt sein, wenn man faul ist.«
»Hör dir das an, Mary Margaret. Dieser Stolz, dabei besitzt sie keinen Hosenknopf.«
»Man muss nicht reich sein, um Stolz zu besitzen«, stellte ich fest.
»Hörst du das, Mary Margaret?«, ließ sich Mrs. Chester vernehmen. Sie wandte sich wieder an mich. »Dauernd sage ich ihr, sie soll nich den Kopf hängen lassen und mit ‘ner Leichenbittermiene rumlaufen, sonst bekommt sie nie einen Kerl ab, der auch nur einen Pfifferling wert ist, aber sie hört ja nich auf mich.Vielleicht lernt sie ja von dir was«, sagte Mrs Chester.
Ich warf Mary Margaret einen Blick zu und sah, wie nervös
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