Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
rief er, als er an meiner geschlossenen Tür vorbeiging. Natürlich antwortete ich nicht. Er ging zu dem Gästezimmer, das er immer benutzte. Ich hörte ihn herumwursteln, dann ließ er das Wasser laufen und schließlich wurde es im Haus so still wie eh und je.
Er wird sich ausschlafen, dachte ich. Nach dem Frühstück fährt er nach Hause und danach wird meine Mutter endlich unser tiefstes Geheimnis enthüllen.
Ich stellte mir diese Szene eine Weile vor, und das machte mich traurig für ihn. Es war nicht nur die Enttäuschung wegen mir. Ich glaube, es muss für einen Sohn tieftragisch sein, solche skandalösen
Dinge über die eigene Mutter zu erfahren. Ich erinnerte mich, wie hoch Roy Mama Arnold immer geachtet hatte. Für einen Sohn konnte keine Frau so perfekt sein wie die eigene Mutter. Brody war der Typ, der es übel nahm, dass ihm all die Jahre und besonders im letzten Jahr nichts gesagt worden war.
Alison war es vermutlich eher peinlich; sie würde wütend darüber sein, aber das würde sich direkt gegen mich richten; da war ich mir sicher. Als ich jetzt überlegte, welcher Tumult und welche Spannungen jetzt in einem ansonsten perfekten Zuhause zum Ausbruch kommen würden, brachte ich fast Sympathien für meine Mutter auf, die es so lange wie möglich geheim halten wollte. Wäre es nicht viel leichter für sie, wenn ich einfach verschwände?
Ich kehrte zu diesem Argument zurück, als ich mein Gespräch mit Victoria überdachte. Sie hatte Recht. Jetzt war ich bereit zu kooperieren und meine Rückkehr nach England würde es für mich und alle anderen einfacher machen.
All diese Sorgen und Gedanken hatten mich erschöpft. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, schlief ich auch schon ein. Mein Schlaf war so tief, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass Brody schon eine Weile in meinem Zimmer neben meinem Bett stand. Er musste mich schon einmal auf die Wange geküsst haben, bevor ich beim nächsten Kuss die Augen öffnete. Zuerst war ich verwirrt.
Ich hatte in dem Moment sogar vergessen, dass er im Haus war.
Ich spürte seinen Atem dicht an meinem Ohr und fuhr herum. Dabei konnte ich einen Schrei gerade noch unterdrücken. Da das Mondlicht jetzt durch das Fenster fiel, leuchtete sein Körper, und ich merkte rasch, dass er völlig nackt vor mir stand.
»Hab keine Angst«, sagte er.
»Was machst du da?«
»Ich konnte nicht schlafen. Ich konnte nur daliegen und an dich denken. Geh nicht nach England zurück. Es ist mir egal, was dieser Bursche dir versprochen hat. Er wird nicht so gut zu dir sein wie ich. Ich werde dich noch besser behandeln als mein Vater meine Mutter.«
»Wovon redest du eigentlich, Brody? Das ergibt doch alles keinen Sinn. Geh ins Bett zurück.«
»Ich rede von uns, Rain. Das ganze Jahr über warst du genau hier«, sagte er und legte die Hand auf die Stirn. »Oft hörte ich auf, in der Klasse oder sogar, wenn Leute mir etwas erzählten, zuzuhören, und ich stellte dich mir vor, hörte dich, roch sogar dein Haar und das erfüllte mich mit solch einer Sehnsucht, dass es wehtat. Das ist Liebe, stimmt’s? Es kann nichts anderes sein.«
»Brody, nein...«
»Du magst mich. Du wirst dich sogar in mich verlieben, wenn du es nicht bereits bist. Ich weiß, was geschehen wird. Ich habe genug Liebe in meinem Herzen für uns beide«, erklärte er.
Er setzte sich auf das Bett. »Du musst uns nur eine Chance geben«, bat er. »Bitte.«
Er griff nach meinem Gesicht. Ich wich zurück und richtete mich im Bett auf, die Decke gegen meinen Körper gepresst.
»Du bist noch betrunken«, sagte ich. »Sonst wärst du nicht hier und würdest solche Dinge reden. Brody. Geh und schlaf dich aus.«
»Nein. Ich bin so nüchtern, wie ich nur sein kann.«
Er beugte sich vor, um mich zu küssen. Ich legte meine Hand auf seine Wange und stieß ihn weg. Er leistete Widerstand, drängte vorwärts, bis er meine Hand weggedrückt hatte und seine Lippen auf meine presste. Ich schrie auf und schob ihn mit beiden Händen auf seinen Schultern von mir weg.
»Was ist los, habe ich Mundgeruch oder was?«, fragte er. »Immer mit der Ruhe.«
»Wir können das nicht machen. Du musst aus diesem Zimmer verschwinden«, sagte ich.
»Warum?«
»Wir können nie ein Liebespaar werden, Brody. Vergiss die ganze Idee«, sagte ich so entschieden wie möglich.
»Warum magst du mich nicht? Glaubst du, ich bin so ein verzogenes Gör wie meine Schwester? Ich arbeite hart. Ich nehme nie etwas als selbstverständlich hin, und ich werde
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