Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
wird, bevor er das Schulgebäude verlässt, wird aufgefordert, die Einrichtung dauerhaft zu verlassen. Ein angemessenes Benehmen in den Klassenzimmern ist von vorrangiger Bedeutung.
Wir sind alle zu einem Zweck hier, nämlich der weiteren Entwicklung unserer musikalischen Talente. Alles andere ist zweitrangig. Ihr seid hier, weil eure Eltern bereit sind, dieses Ziel zu finanzieren. Sie setzen Vertrauen
in euch und hegen bestimmte Erwartungen. Unsere Absicht ist es, das Bestmögliche zu tun, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen und ihren Erwartungen gerecht zu werden.
Wir haben hier einen der qualifiziertesten und talentiertesten Lehrkörper des Landes, Studios auf dem neuesten Stand der Technik und erstklassige Einrichtungen. Amüsiert euch gut, aber arbeitet auch hart, sehr hart und tragt dazu bei, dass dies der erfolgreichste Musiksommer seit Bestehen der Schule wird.«
Ein leichter Applaus brandete auf, hauptsächlich von den Eltern und Verwandten, die die Schüler zur Schule begleitet hatten. Hinterher wurde ein Mittagessen serviert, und wir wurden den Mitgliedern des Lehrkörpers vorgestellt. Mein Klavierlehrer, Professor Littleton, war wiedergekommen, worüber ich mich sehr freute. Er war ein sehr angenehmer Mann mit hellgrauem Haar, buschigen Augenbrauen und rosigen Wangen. Er hatte sehr warme Augen und große Geduld mit den Schülern. Stets vermittelte er uns das Gefühl, dass wir es noch besser konnten. Er gab uns das Gefühl, dass es in uns steckte, noch ein wenig weiter zu kommen.
Eine Zeit lang glaubte ich, ich hätte gar keine Zimmergenossin. Ein Mädchen namens Sarah Burnside aus Richmond, Kentucky, war mir als Zimmergenossin zugewiesen worden, aber irgendwie verpasste sie die Eröffnungsveranstaltung und das Mittagessen. Als ich Stunden später meine Sachen auspackte und einräumte, hörte ich vor der Tür ein lautes Knallen und erstarrte einen
Augenblick. Mommy und Daddy waren schon lange gefahren, damit sie zum Abendessen wieder zu Hause sein konnten. Mommy konnte lange Abschiedsszenen sowieso nicht ausstehen, und Daddy hielt es für das Beste, einfach zu tun, was getan werden musste, und zu gehen, bevor auch nur eine einzige Träne floss. Er hatte fast Erfolg damit, aber Mommy wischte sie sich beim Abschied wie lästige Fliegen vom Gesicht.
Die Tür flog auf, und ein kleines Mädchen – es war knapp einen Meter fünfzig groß – mit hellbraunem lockigem Haar stürzte über ihren großen Koffer und den Posaunenkasten fast ins Zimmer. Sie trug ein leuchtend buntes Kleid mit Blumenmuster, das gut als Zelt hätte dienen können, und blaue Sandalen ohne Strümpfe, dazu eine Türkishalskette, die ihr fast bis zur Taille reichte, und einen passenden Ohrring am rechten Ohr. Sie hatte weißen Lippenstift aufgetragen, der wie Kerzenwachs wirkte. Sommersprossen zogen sich von beiden Schläfen herunter. Ansonsten hatte sie ein sehr liebes Gesicht, sehr zarte Gesichtszüge mit vollkommenen Proportionen, und ihre hübsch geformten braunen Augen hatten die Farbe frischer Walnussschalen.
»Tut mir Leid«, sagte sie. Sie hielt inne und schaute sich im Zimmer um. »Gut, es ist groß.«
Ich dachte, für sie wäre jedes Zimmer groß, sogar ein begehbarer Schrank.
»Hallo«, sagte ich. »Ich bin Summer Clarke.«
»Ich weiß. Und du weißt, dass ich Sarah Burnside bin, stimmt’s?«
»Jetzt weiß ich es«, sagte ich lächelnd. »Warum kommst du so spät? Du hast die Einführungsveranstaltung verpasst.«
»Meine Mutter«, sagte sie mit einer Grimasse, »kriegt es nie geregelt. Wenn du ›chaotisch‹ im Wörterbuch nachschaust, siehst du ihr Bild neben der Definition. Wenn Großtante Margaret nicht wäre, die sich um ihre Geschäftsbücher kümmert, hätte sie schon vor Ewigkeiten zumachen müssen.«
»Was macht deine Mutter denn?«
»Sie besitzt das Full-Moon Café, ein sehr beliebtes Lokal in Richmond, Kentucky.«
»Ist sie hier?«, fragte ich, spähte an ihr vorbei auf den Flur und fragte mich, warum niemand Sarah bei ihren Sachen geholfen hatte.
»Nein. Sie musste zum Flughafen aufbrechen, weil sie schon fast zu spät dran war für ihren Rückflug.«
Sarah hob ihren Koffer mit zwei Händen hoch. Er war fast so groß wie sie. Ich kam ihr zu Hilfe, und wir legten ihn aufs Bett. Dann holte sie ihre Posaune herein und schloss die Tür.
»Welches ist deins?«, fragte sie.
»Meins?«
»Instrument?«
»Ach so, ich spiele Klarinette und Klavier.«
»Ich habe schon genug Probleme mit einem. Ich bin zum
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