Die Hüter der Schatten
Und dieses Haus hast du gekauft?«
Die Lichter des Claremont tauchten vor ihnen auf. Joel parkte, und die beiden betraten das weitläufige alte Foyer mit seinem Glanz aus dem neunzehnten Jahrhundert. Das Essen war hervorragend, und nachher tanzten sie. Je weiter der Abend fortschritt, desto enger schmiegten sie sich aneinander. Zwar hatte keiner von ihnen eine dahingehende Frage gestellt, doch irgendwann wurde Leslie klar, daß sie beide davon ausgingen, daß Joel und sie die Nacht bei ihm verbringen würden. Sie erhob keinerlei Einwände. Sie hatte Joel vermißt und auch den Sex, den sie miteinander hatten. Und er brachte das Thema Heirat nicht wieder zur Sprache.
Früh am Morgen erwachte Leslie in Joels Bett. Er schlief noch. Leslie lauschte ins Dunkel und fragte sich leicht schuldbewußt, ob sie nicht zumindest teilweise mit ihm gegangen war, um zu flüchten. Vor einem Haus, in dem die Telefone schrillten, obwohl der Hörer neben dem Apparat lag. Wo eine abgeschraubte Türklingel läutete und Leslie unangenehm daran erinnerte, daß in ihren vier Wänden irgend etwas vorging, das sie weder begreifen noch mit dem Verstand erklären konnte.
Nein, sie war nicht bereit, hier zu liegen und diese Gedanken von neuem zu wälzen. Sie schmiegte sich an Joel und kitzelte ihn mit der Nase am Hals, bis er aufwachte. Und dann brauchte sie an gar nichts mehr zu denken.
7
Am Samstagmorgen kamen die Männer von der Spedition mit dem Kostenvoranschlag. Den Rest des Tages über verschwanden immer mehr Haushaltsgegenstände in Kisten, und die Möbel wurden für die Möbelpacker zurechtgerückt, die am Dienstag kommen würden. In diesem Chaos, dachte Leslie, hätte ein Poltergeist sein Unwesen treiben können, ohne daß jemand etwas davon bemerkt hätte.
Sie leerte ihre Schreibtischschubladen und bat Emily, es ihr gleichzutun, doch ihre Schwester hörte sie kaum.
»Ich muß üben. Ich mach’ das am Montag abend, nach dem Vorspielen, okay? Laß mich in Ruhe, ja?« brummelte Emily und hob kaum den Blick von den Tasten. Sie konzentrierte sich auf eine Tonfolge, die sie ein ums andere Mal wiederholte. Dann bemerkte sie Leslie, die immer noch in der Tür stand.
»Ist was, Les?«
»Ich höre dir nur zu.«
»Laß das bitte«, knurrte Emily. »Hast du nichts zu tun? Ich jedenfalls muß arbeiten.«
Leslie floh vor der finsteren Miene ihrer Schwester und ging derart in der harten und heilsamen körperlichen Plackerei des Umzugs auf, daß sie kaum zusammenzuckte, als das Telefon klingelte. Eine fröhliche Frauenstimme, die ihr vage bekannt vorkam, meldete sich. »Les? Hier ist Margot.«
»Du? Von wo rufst du an?«
»Aus Sacramento natürlich«, antwortete Margot. »Nick und ich wollten, daß du es als erste erfährst. Wir heiraten im Juni – ja doch, ich habe den verflixten Abschluß –, und selbstverständlich möchte Nick, daß Joel sein Trauzeuge ist. Und du sollst meine Brautjungfer werden. Wir werden kein großes Fest feiern. Auf so was stehen wir beide nicht. Nur eine gemütliche kleine Feier mit einigen unserer besten Freunde.«
»Das ist ja wunderbar, Margot!« Leslie freute sich aufrichtig.
»Aber ich muß mich erst noch damit abfinden, die Frau eines Polizisten zu sein«, gab Margot offen zu. »Na ja, Nick ist nun mal ein Cop und hat sich nie etwas anderes gewünscht. Also werde ich zwangsläufig zur Polizistenfrau und mich daran gewöhnen müssen. Und wie gefällt es dir, privat zu praktizieren?«
»Um Längen besser als an der Schule.« Es war nicht die richtige Zeit, die Freundin mit ihren Skrupeln bezüglich ihres Berufsstandes oder ihren neuen Selbstzweifeln zu belasten. Obwohl Margot eine Frau war, mit der Leslie über ihre Sorgen sprechen konnte. Und vielleicht würde sie eines Tages mit ihr darüber reden. Aber nicht jetzt, da ihre Freundin an ihre Hochzeit dachte.
»Ich habe mir gerade ein Haus in San Francisco gekauft, Margot.«
»He, gratuliere! Aber ist es in der Großstadt nicht gefährlich? Ist die East Bay nicht sicherer?«
Wie sollte sie Margot erklären, was für einen Zauberbann das Haus auf sie ausübte? »Weißt du, ich hab’ mich in das Haus verliebt. Es ist sehr groß, mit wunderschönem Garten. Ich kann mir eine Praxis darin einrichten, und Emily ein Klavierzimmer.«
»Stimmt ja, Emily studiert jetzt am Konservatorium, nicht wahr? Hör mal, gestern bin ich in der Bücherei deiner Mutter begegnet …«
Die beiden Frauen plauderten noch ein paar Minuten über ihre Familien und
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