Die Hure: Roman (German Edition)
als würde sie in Blut baden. Vielleicht wäre eine ausgiebige Dusche doch besser gewesen.
Merkt euch: Ein Wannenbad ist oft unpraktisch und Wasserverschwendung.
Vor allem aber merkt euch dies: Man soll keinem jemals eine zweite Chance geben.
Die Laken sind über und über mit der DNA des männlichen Besuchers besudelt.
Sie müssen gewaschen werden.
Kalla stopft die Bettwäsche in den Waschkorb und geht in die Waschküche im Keller. Sie stellt das Programm auf neunzig Grad ein und schüttet Haushaltsnatron zur Wäsche: ein gutes Mittel gegen Blutflecken. Während die Trommel sich dreht, bleibt Kalla in der Waschküche sitzen und liest Margaret Atwood, das heißt, eigentlich ist es keine Waschküche, sondern ein Kellerraum, in dem eine alte Industriewaschmaschine steht.
Ihre Wäsche ist fertig, als Marian, die Hauptperson des Buches, gerade erst ihre Wäsche in die Maschine stopft.
Kalla öffnet die Klappe. Aber heraus kommt nicht leuchtend weiße Bettwäsche, sondern eine nackte blonde Frau, die ein rosa Handtuch von der Leine reißt, um ihre Brüste zu bedecken. Vielleicht weniger, um sie zu bedecken, als um sie zu trocknen. Die Frau zündet sich eine Zigarette an, die in einer Spitze steckt. Sie raucht die Zigarette mit einem einzigen Zug auf. »Eine lange Reise«, sagt sie heiser.
Die Frau erklärt, es bestehe Anlass zu einem Gerichtsprozess, denn Kalla habe bekanntlich das Gleichgewicht zwischen Mann und Frau mehrfach gewaltsam zerstört. Besonders monströs habe sie sich gerade eben verhalten. »Das können wir nicht länger durchgehen lassen«, sagt die Frau und steckt sich die nächste Zigarette an.
Dann stellt sie sich vor. Sie heißt Isis und kann aufgrund der Vollmacht, die sie von Gewisser Seite erhalten hat, Tote erwecken und Lebende verurteilen. Kalla fragt, um wen es sich bei dieser Gewissen Seite handele. Daraufhin erklärt Isis, sie könne nicht ins Detail gehen, aber dahinter stehe das Patriarchat selbst.
»Aber du bist doch eine Frau, wie kannst du so eine Institution vertreten?«
»Wir Frauen sind seit jeher die treuesten Dienerinnen des Patriarchats. Das muss dir doch klar sein?! Das Patriarchat könnte ja gar nicht herrschen, wenn nur die Hälfte der Menschheit und der Götterwelt hinter ihm stünde. Die Hälfte des Himmels würde über ihm einstürzen!«
»Das finde ich aber nicht ganz fair.«
Isis holt einen kleinen Koffer aus der Waschmaschine, dem sie sehr knappe Shorts und sehr lange Stiefel entnimmt. Sie legt hellen Lippenstift auf und fragt Kalla, ob sie bereit sei.
»Wozu?«, will Kalla wissen.
»Wir machen einen Besuch in der Unterwelt.«
»So, wie du angezogen bist, wirst du bestimmt nicht eingelassen.«
»Ich kann tun, was ich will.«
Kalla geniert sich ein wenig, denn sie hat eine alte Jeans, ein dreckiges T-Shirt und die Kapuzenjacke von irgendeinem Exfreund an. Andererseits ist Isis oben ohne.
Sie fahren mit dem Taxi zur Unterwelt. Der Portier mustert sie kritisch, gibt aber nach, als Isis ihm eine Weile den Schenkel reibt.
»Du musst uns einlassen, wenn du nicht der ewigen Verdammnis anheimfallen willst«, flüstert sie drohend und sexy zugleich.
»In Ordnung«, erwidert der Portier und würde ihnen aus den Mänteln helfen, aber sie tragen ja keine.
Isis steckt sich eine Zigarette an. Der Portier erklärt, für Raucher sei ein separater Raum reserviert.
Isis faucht wie eine Raubkatze, und der Portier verschwindet.
»Oje, was ist denn mit dem passiert?«, fragt Kalla.
»Er ist in die Verdammnis geraten. Genau wie ich es ihm vorhergesagt habe.«
Sie holen sich etwas zu trinken.
Kalla schaut sich um. »Das ist ein schrecklicher Ort.«
»Jetzt begreifst du wenigstens, wohin du einen gewissen armen Kerl befördert hast.«
»Ihn?«
»Den mit dem niedlichen kleinen Schnurrbart.«
»Der war überhaupt nicht niedlich. Eher voller Rotz.«
Isis trinkt ihre Cola Rum in einem Zug aus. »Zu viel Cola«, sagt sie und schmeißt das Glas an die Wand. Dann führt sie Kalla in den Gerichtssaal. Seelen, die ihre Strafe verbüßen, fliegen auf und umschwirren Kalla. Sie haben keine Arme. Und eigentlich auch keinen Körper. Nur einen Frauenkopf, unter dem allerlei Ekliges, Blutiges und Eitriges hängt. Mit den Zähnen reißen sie Kalla die Kleider vom Leib und ziehen ihr einen orangefarbenen Overall an.
An den Rändern des Saals winden sich andere arme Seelen. Sie haben Frauenkörper, aber weder Arme noch Beine. Nur einen Torso ohne Kopf. Die Stümpfe sehen entzündet
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