Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
vor ein paar Jahren auf mich geschossen, die Lasernarbe war immer noch über dem linken Hüftknochen zu sehen.
Ich hielt das Glas von mir, weil ich noch Wasser wollte. Johnny holte welches von einem Stahltank und kam zurück. Ich geriet einen Augenblick in Panik, als ich in der Tasche und am Gürtel tastete: Dads Automatik war nicht mehr da. Johnny hielt die Waffe hoch, worauf ich mich entspannte, den Becher nahm und durstig trank. »BB?« sagte ich und hoffte einen Augenblick, es wäre alles eine schreckliche Halluzination gewesen.
Johnny schüttelte den Kopf. »Es gab Verteidigungsmechanismen, mit denen keiner von uns gerechnet hatte. BBs Eindringen war brillant, aber er konnte die Omegaphagen des Core nicht überwinden. Die Hälfte aller Operatoren in der Dateiebene haben Echos des Kampfes gespürt. BB ist schon zur Legende geworden.«
»Echt toll«, sagte ich und stieß ein Lachen aus, das sich verdächtig wie der Auftakt eines Schluchzens anhörte. »Legende. Und BB ist tot. Für nichts und wieder nichts.«
Johnny legte den Arm fest um mich. »Nicht für nichts, Brawne. Er hat den Diebstahl bewerkstelligt. Und mir die Daten übermittelt, bevor er gestorben ist.«
Es gelang mir, mich völlig aufzurichten und Johnny anzusehen. Er schien derselbe zu sein – dieselben sanften Augen, dasselbe Haar, dieselbe Stimme. Aber etwas war auf subtile Weise anders, tiefgründiger. Menschlicher? »Du?« sagte ich. »Hast du den Transfer bewerkstelligt? Bist du ...«
»Menschlich?« John Keats lächelte mich an. »Ja, Brawne. So menschlich wie jemand, der im Core geschaffen worden ist, nur sein kann.«
»Aber du erinnerst dich an ... mich ... BB ... was geschehen ist.«
»Ja. Und ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal Chapmans Homer gelesen habe. Und an den Blick meines Bruders Tom, wenn er nachts einen Blutsturz hatte. Und Severns gütige Stimme, als ich zu schwach war, die Augen aufzuschlagen und meinem Schicksal entgegenzusehen. Und unsere Nacht in der Piazza di Spagna, als ich deine Lippen berührt und mir Fannys Wange an meiner vorgestellt habe. Ich erinnere mich, Brawne.«
Einen Moment lang war ich verwirrt, dann gekränkt, aber dann legte er die Handfläche an meine Wange, und er berührte mich, da war sonst niemand, und da begriff ich. Ich machte die Augen zu. »Warum sind wir hier?« flüsterte ich an seiner Schulter.
»Ich konnte es nicht riskieren, einen Farcaster zu benützen. Der Core hätte uns augenblicklich aufgespürt. Ich habe an den Raumhafen gedacht, aber du warst nicht in der Verfassung zu reisen. Daher entschied ich mich für den Dregs.«
Ich nickte ihm zu. »Sie werden versuchen, dich umzubringen.«
»Ja.«
»Ist die hiesige Polizei hinter uns her? Die Hegemoniepolizei? Transitbullen?«
»Nein, das glaube ich nicht. Bis jetzt wollten uns nur zwei Banden Goondas und ein paar Tunichtgute des Dregs angreifen.«
Ich schlug die Augen auf. »Was ist mit den Goondas passiert?« Es gab mehr tödliche Schurken und Auftragskiller im Netz, aber ich war nie welchen über den Weg gelaufen.
Johnny hielt Dads Automatik hoch und lächelte.
»Nach BB kann ich mich an nichts erinnern«, sagte ich.
»Die Rückkoppelungen der Phagen haben dich verletzt. Du konntest gehen, hast aber mehr als nur ein paar merkwürdige Blicke im Concourse auf dich gezogen.«
»Kann ich mir denken. Sag mir, was BB herausgefunden hat. Warum ist der Core so besessen von Hyperion?«
»Iß zuerst«, sagte Johnny. »Es ist mehr als achtundzwanzig Stunden her.« Er durchquerte die tropfende Breite des Höhlenraums und kam mit einer Hitzepackung zurück. Es war das typische Zeug aus der Holowerbung – gefriergetrocknetes und erwärmtes geklontes Rindfleisch, Kartoffeln, die nie den Erdboden gesehen hatten, und Karotten, die wie Tiefseeschnecken aussahen. Nichts hatte mir je so gut geschmeckt. »Okay«, sagte ich. »Schieß los!«
»TechnoCore ist, solange der Core existiert, in drei Gruppen unterteilt«, sagte Johnny. »Die Beständigen sind die alten KIs, die teilweise noch in die Zeit vor dem Fehler zurückreichen; mindestens einer von ihnen erlangte schon im Ersten Informationszeitalter Bewußtsein. Die Beständigen treten dafür ein, daß ein gewisses Maß an Symbiose zwischen der Menschheit und dem Core notwendig ist. Sie haben sich für das Projekt Höchste Intelligenz ausgesprochen, um übereilte Entscheidungen zu vermeiden, um hinauszuzögern, bis sämtliche Variablen eliminiert werden können. Die Unbeständigen
Weitere Kostenlose Bücher