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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dort im roten Halbdunkel unter der kreisenden Skulptur des Shrike, und ihre Stimmen hallten in dem gotischen Gewölbe wider. Was sie sangen, lautete etwa folgendermaßen:
     
    »GESEGNET SEI SIE
    GESEGNET SEI DIE MUTTER UNSERES ERLÖSERS
    GESEGNET SEI DAS INSTRUMENT UNSERER BUSSE
    GESEGNET SEI DIE BRAUT UNSERER SCHÖPFUNG
    GESEGNET SEI SIE.«
     
    Ich war verletzt und im Schock. Ich verstand es damals nicht. Ich verstehe es auch jetzt nicht.
    Aber ich weiß jetzt, wenn der Zeitpunkt gekommen ist und das Shrike sich zeigt, werden Johnny und ich ihm gemeinsam entgegentreten.
    Die Dunkelheit war schon längst hereingebrochen. Die Seilbahn schwebte zwischen Sternen und Eis dahin.
    Die Gruppe saß schweigend da; lediglich das Quietschen des Kabels war zu hören.
    Als eine gewisse Zeit verstrichen war, sagte Lenar Hoyt zu Brawne Lamia: »Sie tragen auch die Kruziform.«
    Lamia sah den Priester an.
    Oberst Kassad beugte sich zu der Frau. »Glauben Sie, Het Masteen war der Tempelritter, der mit Johnny gesprochen hat?«
    »Möglich«, sagte Brawne Lamia. »Ich habe es nie herausgefunden.«
    Kassad blinzelte nicht. »Haben Sie Masteen getötet?«
    »Nein.«
    Martin Silenus streckte sich und gähnte. »Wir haben noch ein paar Stunden bis Sonnenaufgang«, sagte er. »Möchte noch jemand eine Runde schlafen?«
    Mehrere Köpfe nickten.
    »Ich bleibe auf und halte Wache«, sagte Kassad. »Ich bin nicht müde.«
    »Ich leiste Ihnen Gesellschaft«, sagte der Konsul.
    »Und ich mache etwas Kaffee für die Thermoskanne«, sagte Brawne Lamia.
    Als die anderen schliefen und das Baby Rachel leise krähende Laute im Schlaf von sich gab, saßen die drei an den Fenstern und betrachteten die Sterne, die kalt und fern in der weiten Nacht leuchteten.
     

SECHSTER TEIL
    Chronos Keep ragte am östlichsten Ausläufer des großen Bridle Range auf: ein grimmiger, barocker Haufen schwitzender Steine mit dreihundert Zimmern und Sälen, einem Irrgarten dunkler Flure, die in gigantische Festsäle führten, Türmen, Türmchen, Balkonen mit Blick auf die nördlichen Moore, Lichtschächten, die einen halben Kilometer zum Licht empor und angeblich bis zum Labyrinth der Welt selbst hinunter führten, Zinnen, die von den Kalten Winden der hochgelegenen Gipfel gegeißelt wurden, Treppen – drinnen wie draußen –, die aus dem Felsgestein selbst gehauen waren und nirgendwo hinführten, Buntglasfenstern, hundert Meter hoch und so angelegt, daß sie die ersten Strahlen der Sonnenwendsonne oder das Mondlicht in der Mittwinternacht einfingen, faustgroßen Scharten ohne Scheiben ohne besonderen Ausblick, einer endlosen Abfolge von Reliefs, grotesken Figuren in halb verborgenen Nischen und mehr als tausend Monsterfratzen, die von Zinnen und Erkern, Dachgestühl und Giebeln herunterstarrten oder zwischen den Holzbalken in den großen Sälen herabsahen und so angebracht waren, daß sie durch die blutroten Fensterscheiben der Nordostseite blickten, wo sich ihre grausigen, geflügelten und buckligen Gestalten wie makabre Sonnenuhrzeiger bewegten, deren Schatten tagsüber von der Sonne und nachts von Gaslampen geworfen wurden. Und überall in Chronos Keep waren Spuren der langjährigen Anwesenheit der Kirche des Shrike zu finden – Altäre zur Buße in roten Samt gehüllt, hängende und freistehende Skulpturen des Avatar mit Klingen aus Polychromstahl und Blutrubinen als Augen; aus Stein gehauene Statuen des Shrike auf schmalen Treppen und in dunklen Fluren, so daß man nirgendwo in der Nacht sicher sein konnte, nicht Hände zu berühren, die aus dem Stein ragten, die scharfe Krümmung einer Klinge aus dem Fels, vier Arme, die zur allerletzten Umarmung ansetzten. Und wie als eine Art allerletzte Ausschmückung: Filigranwerk aus Blut in vielen der einst bewohnten Säle und Zimmer, rote Arabesken in fast bekannten Mustern an Wänden und Flurdecken, getrocknete rostrote Substanz auf Bettlaken und Leintüchern und ein großer Speisesaal erfüllt vom Gestank verfaulender Lebensmittel eines vor Wochen abgebrochenen Festmahls, Boden und Tische, Stühle und Wände mit Blut bemalt, fleckige Kleidungsstücke und zerfetzte Talare als stumme Bündel auf dem Boden. Und überall das Summen von Fliegen.
    »Tolles Hotel, was?« sagte Martin Silenus mit hallender Stimme.
    Pater Hoyt ging ein paar Schritte in den großen Saal hinein. Nachmittagslicht der nach Westen ausgerichteten Oberlichte vierzig Meter höher fiel in staubigen Säulen herein. »Unglaublich«, flüsterte er. »St.

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