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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Bürger der Stadt fängt nach einem Jahrzehnt des Schweigens wieder zu schreiben an. Und das – wann, Martin? – zwei Tage nachdem die ersten Morde angefangen haben. Nun plötzlich zieht er sich aus dem aktiven gesellschaftlichen Leben zurück, das er einmal geführt hat, und verbringt seine Zeit damit, ein episches Gedicht zu schreiben … Herrje, sogar die jungen Mädchen sind vor seiner Bocksbrunst sicher.«
    Ich seufzte. »Bocksbrunst, Euer Majestät?«
    König Billy sah mich über die Schulter an.
    »Na gut«, sagte ich, »Sie haben mich erwischt. Ich gestehe. Ich habe sie ermordet und in ihrem Blut gebadet. Das wirkt als astreines literarisches Aphrodisiakum. Ich schätze noch zwei-, dreihundert Opfer – und schon ist mein nächstes Buch fertig und zur Veröffentlichung bereit.«
    König Billy drehte sich wieder zum Fenster um.
    »Was ist?«, fragte ich. »Glauben Sie mir nicht?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil«, sagte der König, »ich weiß, wer der Mörder ist.«
     
    Wir saßen in der dunklen Holonische und sahen mit an, wie das Shrike die Romanautorin Sira Rob und ihren Liebhaber tötete. Das Licht war ziemlich schwach; Siras Haut schien
blass phosphoreszierend zu leuchten, während die weißen Pobacken ihres viel jüngeren Freundes im trüben Licht die Illusion erzeugten, als würden sie unabhängig vom Rest seines braungebrannten Körpers schweben. Ihr Liebesakt strebte gerade seinem hektischen Höhepunkt entgegen, als das Unerklärliche geschah. Anstelle der letzten Stöße und der nachfolgenden Pause des Orgasmus schien der junge Mann plötzlich zu levitieren, stieg er in die Höhe, als hätte Sira ihn irgendwie gewaltsam aus ihrem Leib gestoßen. Die Tonspur der Disk, die bislang lediglich aus dem üblichen banalen Keuchen, Stöhnen, Aufschreien und den Anweisungen bestanden hatte, die man bei derlei Tätigkeit erwarten kann, ließ plötzlich Schreie ertönen – zuerst die des jungen Mannes, dann die von Sira.
    Ein Poltern war zu hören, als der Körper des Jungen außerhalb der Kamera an die Wand klatschte. Siras Körper lag wartend in tragikomischer Verwundbarkeit da. Sie hatte die Beine gespreizt, ihre Arme waren ausgebreitet, die Brüste plattgedrückt, die Schenkel blass. Sie hatte den Kopf in Ekstase zurückgelegt gehabt, aber nun hatte sie Zeit, ihn zu heben; Schock und Wut verdrängten bereits den seltsam einfältigen Ausdruck des kurz bevorstehenden Orgasmus. Sie machte den Mund auf, um etwas zu rufen.
    Keine Worte. Man hörte Klingen, die Fleisch durchbohrten, als würde eine Wassermelone aufgeschnitten, und Haken, die in Fleisch und Knorpel geschlagen wurden. Siras Kopf kippte zurück, sie machte den Mund unmöglich weit auf, und ihr ganzer Körper explodierte vom Brustbein an abwärts bis zu ihrer geöffneten Scham. Das Fleisch teilte sich, als würde eine unsichtbare Axt Sira Rob zu Geschnetzeltem verarbeiten. Unsichtbare Skalpelle rissen sie weiter auf, Schnittwunden erschienen wie obszöne Zeitrafferaufnahmen der Lieblingsoperation eines Chirurgen. Es war eine brutale Autopsie, die an
einem lebenden Menschen vorgenommen wurde. Oder besser gesagt, an einem einst lebenden Menschen, denn als das Blut aufhörte zu spritzen und der Körper nicht mehr zuckte, entspannten sich Siras Gliedmaßen im Tod, und sie spreizte die Beine wieder wie ein Echo der obszönen Zurschaustellung der Eingeweide darüber. Und dann – nur einen Sekundenbruchteil  – sah man ein Flackern von Rot und Chrom neben dem Bett.
    »Standbild, vergrößern«, befahl König Billy dem Hauscomputer.
    Das Flackern wurde zu einem Kopf aus dem Alptraum eines Schocksüchtigen: ein Gesicht teils Stahl, teils Chrom und teils Schädel, Zähne wie die eines mechanischen, mit einer Planierraupe gekreuzten Wolfs, Augen wie Laser, die sich durch Edelsteine voll Blut brannten, die Stirn von einem gekrümmten Dorn geteilt, der dreißig Zentimeter von dem Quecksilberschädel abstand, und ein von ähnlichen Stacheln umkränzter Hals.
    »Das Shrike?«, fragte ich.
    König Billy nickte – eine kaum merkliche Bewegung von Kinn und Kiefern.
    »Was ist mit dem Jungen passiert?«, fragte ich.
    »Von dem war keine Spur zu sehen, als Siras Leichnam gefunden wurde«, sagte der König. »Niemand wusste, dass er vermisst wird, bis die Disk gefunden wurde. Man hat ihn als jungen Unterhaltungsspezialisten aus Endymion identifiziert.«
    »Sie haben das Holo gerade entdeckt?«
    »Gestern«, sagte König Billy. »Die Sicherheitsleute

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