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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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aufzustehen. Meine Arme und Beine zuckten wie die schlecht geführten Gliedmaßen einer Marionette. Die Schmerzen waren unvorstellbar. Ich schrie wieder, der gequälte Laut hallte von Marmor und Granit wider.
    König Billy hob einen Stapel Blätter, hielt inne und las von der obersten Seite vor:
    »Ohne Story oder Stütze
Doch mit meiner schwachen Sterblichkeit ertrug ich
Die Last dieses ewigen Schweigens,
Die ew’ge Dämmerung, die drei starren Schemen
Warn ein einz’ger Mond für meine trägen Sinne.
Mit brennendem Gehirn maß ich gewiss
Ihr Silberleuchten, in die Nacht verströmt,
Und jeden Tag, so schien mir, wurde ich schwächer und geisterhafter – und häufig im Gebet,
Inbrünstig, bat ich, Tod, erlöse mich aus diesem Jammertal
Und seinen Bürden – und vor Verzweiflung gram
Verfluchte ich mich Stund’ für Stund’.«
    König Billy wandte das Gesicht zu den Sternen und übergab diese Seite den Flammen.
    »Nein!«, schrie ich und zwang meine Knie, sich zu beugen. Ich kam auf ein Knie, versuchte mich mit einem kribbelnden Arm zu stützen und kippte auf die Seite.
    Der Schatten im Cape hob einen Stapel, der so dick war, dass
er ihn nicht rollen konnte, und betrachtete ihn im düsteren Licht.
    »Dann sah ich ein blasses Gesicht
Nicht gramgezeichnet, sondern hell gebleicht
Von unsterblicher Krankheit, die nicht tötet;
Stete Verwandlung wirkt es, die kein Tod
Beenden kann; dem Tod entgegen, doch unsterblich
Ging dies Gesicht; vorbei war es
An Schnee und Lilie, doch weiter
Darf ich nicht denken; obschon ich dieses Antlitz sah …«
    König Billy hob das Feuerzeug, worauf diese und fünfzig weitere Seiten in Flammen aufgingen. Er ließ die brennenden Seiten in den Brunnen fallen und griff nach neuen.
    »Bitte!«, schrie ich, zog mich hoch, machte die Beine steif wegen der zuckenden Nervenimpulse und lehnte mich stützend an die Steinbank. »Bitte.«
    Die dritte Gestalt tauchte nicht auf, sondern ließ vielmehr zu, dass sich ihre Anwesenheit meinem Bewusstsein kundtat; es war, als wäre sie immer da gewesen, nur hatten König Billy und ich sie nicht bemerkt, bis die Flammen hell genug gewesen waren. Unmöglich groß, vierarmig, aus Chrom und Knorpel gegossen – so wandte das Shrike seinen roten Blick auf uns.
    König Billy stöhnte, trat zurück und ging sofort wieder einen Schritt vor, um weitere Gesänge den Flammen zu übergeben. Glühende Schnipsel stiegen auf warmen Winden empor. Ein Schwarm Tauben flatterte mit lautem Flügelschlag von den umrankten Gittern der verfallenen Kuppel.
    Ich bewegte mich mit einer Bewegung nach vorne, die mehr Sprung als Schritt war. Das Shrike bewegte sich nicht, wandte den blutigen Blick nicht ab.
    »Geh!«, rief König Billy, dessen Stottern vergessen und dessen
Stimme aufgeregt war; er hielt einen brennenden Stapel des Gedichts in jeder Hand. »Zurück in die Grube, aus der du gekrochen bist!«
    Das Shrike schien den Kopf unmerklich zu neigen. Rotes Licht glomm auf scharfkantigen Oberflächen.
    »Mein Lord!«, rief ich, aber ich wusste damals wie heute nicht, ob zu König Billy oder der Erscheinung aus der Hölle. Ich stolperte die letzten paar Schritte und griff nach Billys Arm.
    Er war nicht da. Eben war der alternde König noch eine Handbreit vor mir, und im nächsten Augenblick war er zehn Meter entfernt und hoch über dem Kopfsteinpflaster des Innenhofs. Finger wie stählerne Dornen durchbohrten seine Arme, die Brust und die Schenkel, aber er wand sich noch, und meine Gesänge brannten in seinen Händen. Das Shrike hielt ihn hoch wie ein Vater, der seinen Sohn zur Taufe reicht.
    »Vernichten Sie es!«, schrie Billy und machte bemitleidenswerte Gesten mit den durchbohrten Armen. »Vernichten Sie es!«
    Ich blieb am Brunnenrand stehen und torkelte erschöpft gegen den Sims. Zuerst dachte ich, er meinte, das Shrike vernichten, dann dachte ich, er meinte das Gedicht, und dann wurde mir klar, dass er beides gemeint hatte. Tausend Manuskriptseiten oder mehr lagen durcheinander in dem trockenen Brunnen. Ich nahm den Petroleumeimer.
    Das Shrike bewegte sich nicht, es zog König Billy lediglich langsam an die Brust – eine Bewegung, die seltsam zärtlich aussah. Billy wand sich und schrie lautlos, als ein langer Stachel dicht über dem Brustbein durch die Harlekinsseide stieß. Ich stand benommen da und musste an die Schmetterlinge denken, die ich als Kind gesammelt hatte. Langsam und mechanisch schüttete ich Petroleum über die verstreuten

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