Die Hyperion-Gesänge
heimkehrenden Inseln.
Im Hafen drängten sich die Boote: wippende Katamarane, an deren Masten Kuhglocken läuteten, gewaltige Hausboote mit flachen Böden, die erbaut worden waren, damit sie in den ruhigen äquatorialen Untiefen von Hafen zu Hafen kriechen konnten, an diesem Abend aber mit funkelnden Lichterketten geschmückt waren, und ab und zu eine seetüchtige Jacht, schlank und funktionell wie ein Hai. Ein Leuchtturm weit draußen am spitzen Ende des Hafenriffs warf seinen Lichtschein über das Meer hinaus, erhellte Wellen und Insel gleichermaßen und holte sein Licht dann wieder ein, um das bunte Treiben von Schiffen und Menschen zu beleuchten.
Selbst aus zwei Kilometern Entfernung konnten wir den Lärm hören. Die Geräuschkulisse der Festivitäten war deutlich
vernehmbar. Über die Rufe und das unablässige Rauschen der Brandung erhob sich der unverwechselbare Klang einer Bachsonate. Später erfuhr ich, dass dieses Willkommenskonzert mit Hydrophonen zu den Durchgangskanälen übertragen wurde, wo Delfine zu der Musik sprangen und hüpften.
»Mein Gott, Mike, woher hast du gewusst, dass das hier läuft?«
»Ich habe den Schiffscomputer gefragt«, sagte Mike. Die Schwebematte schwenkte nach rechts, damit wir von den Schiffen und dem Licht des Leuchtturms fernblieben. Dann näherten wir uns Firstsite wieder von Norden über einer spitzen Landzunge. Ich konnte das leise Rauschen der Wellen in den Untiefen vor uns hören. »Sie veranstalten dieses Fest jedes Jahr«, fuhr Mike fort, »aber dies ist ihre Hundertfünfzigjahrfeier. Die Party dauert schon drei Wochen und soll noch mal zwei dauern. Auf dieser ganzen Welt leben nur rund hundertfünfzigtausend Kolonisten, Merin, und ich wette, die Hälfte davon ist hier und feiert.«
Wir bremsten, machten einen vorsichtigen Anflug und landeten auf einem Felsenplateau nicht weit vom Strand entfernt. Das Gewitter war im Süden an uns vorbeigezogen, aber Blitze und die fernen Lichter der näherkommenden Inseln zeichneten sich noch am Horizont ab. Die Sterne über uns wurden nicht vom Glanz von Firstsite getrübt, das jenseits der Erhebung lag. Hier war die Luft wärmer, und ich konnte den Duft von Hainen im Wind riechen. Wir legten die Schwebematte zusammen und zogen hastig unsere Harlekinskostüme an. Mike steckte den Laserschreiber und die Juwelen in die Taschen.
»Wozu brauchst du die?«, fragte ich, als wir Schwebematte und Rucksack unter einem großen Felsen versteckt hatten.
»Die?«, fragte Mike und ließ ein Collier von Renaissance an
einem Finger baumeln. »Das ist eine Währung, falls wir uns Gunst erkaufen müssen.«
»Gunst?«
»Gunst«, wiederholte Mike. »Die Gefälligkeit einer Dame. Trost für einen müden Raumfahrer. Muschis, mein Junge.«
»Oh«, sagte ich und rückte Maske und Narrenkappe zurecht. Die Glöckchen klingelten leise in der Dunkelheit.
»Komm mit!«, sagte Mike. »Wir versäumen die Party.« Ich nickte und folgte ihm. Die Glöckchen klingelten, während wir uns über Fels und Gebüsch dem wartenden Licht näherten.
Ich sitze hier im Sonnenschein und warte. Ich bin nicht ganz sicher, worauf ich warte. Ich spüre zunehmende Wärme im Rücken, als sich die Morgensonne auf dem weißen Stein von Siris Grab spiegelt.
Siris Grab?
Es sind keine Wolken am Himmel. Ich hebe den Kopf und blinzle himmelwärts, als könnte ich die L.A. und die gerade fertiggestellte Farcasteranlage durch das Leuchten der Atmosphäre sehen. Kann ich nicht. Ein Teil von mir weiß, dass sie noch nicht aufgegangen sind. Ein Teil von mir kennt bis auf die Sekunde genau die Zeit, bis Schiff und Farcaster ihren Weg zum Zenit zurückgelegt haben. Ein Teil von mir will nicht dar über nachdenken.
Siri, tue ich das Richtige?
Plötzlich ist das Flattern von Wimpeln an ihren Stäben zu hören, als Wind aufkommt. Ich spüre die Unruhe der wartenden Menge mehr, als ich sie sehe. Zum ersten Mal seit meiner Landung für unser Siebtes Wiedersehen bin ich traurig. Nein, nicht traurig, noch nicht, aber von einer grimmigen Niedergeschlagenheit erfüllt, die bald schon zu Kummer werden wird. Ich habe jahrelang stumme Zwiegespräche mit Siri geführt, habe mir Fragen für künftige Diskussionen mit ihr zurechtgelegt
– und plötzlich wird mir mit unerbittlicher Deutlichkeit bewusst, dass wir nie wieder zusammensitzen und reden werden. Eine Leere tut sich in mir auf.
Soll ich es geschehen lassen, Siri?
Keine Antwort, abgesehen vom zunehmenden Murmeln der Menge. In ein paar
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