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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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herumliegen zu lassen. Sie war stolz auf ihr einziges Kind, auch wenn dieses so zügellos wie ein nicht stubenreines Lama war. Don Balthasar sagte nie etwas zu meinen Werken; wahrscheinlich deshalb, denke ich, weil ich sie ihm nie gezeigt habe. Don Balthasar war der Meinung, der ehrwürdige Daton wäre ein Scharlatan, Salmud Brevy und Robert Frost hätten sich an ihren eigenen Eingeweiden aufhängen sollen, Wordsworth sei ein Depp gewesen und alles außer Shakespeares Sonetten wäre eine Beleidigung der Sprache. Ich sah keinen Grund, Don Balthasar mit meinen Versen zu behelligen, wusste ich doch, dass sie von knospendem Genie erfüllt waren.
    Mehrere dieser kleinen literarischen Kothäufchen veröffentlichte ich in den verschiedenen gedruckten Magazinen, die zu jener Zeit in den Arkologs der Europäischen Häuser so en vogue und deren Amateurlektoren so vernarrt in meine Mutter waren wie diese in mich. Gelegentlich drängte ich Amalfi oder einen anderen Spielkameraden – nicht so aristokratisch wie ich und daher mit Zugriff zu Datensphäre oder Fatlinetransmittern  – dazu, einige meiner Verse zum Ring oder dem Mars zu übermitteln und damit zu den aufblühenden Farcasterkolonien. Sie antworteten jedoch nie. Ich ging davon aus, dass sie zu beschäftigt waren.
    Vor dem Säuretest der Veröffentlichung an die eigene Identität als Dichter oder Schriftsteller zu glauben, das ist so naiv und harmlos wie der jugendliche Glaube an die eigene Unsterblichkeit  – und die unausweichliche Desillusionierung ebenso schmerzlich.
     
    Meine Mutter starb mit der Alten Erde. Etwa die Hälfte der Alten Familien blieb während der letzten Katastrophe; ich war zwanzig und hatte meine eigenen romantischen Pläne gemacht, mit dem Heimatplaneten zu sterben. Mutter entschied
anders. Aber nicht mein vorzeitiges Ableben bekümmerte sie – sie war, wie ich, viel zu egoistisch, in so einer Zeit an jemand anderen zu denken –, nicht einmal die Tatsache, dass das Aussterben meiner DNS das Ende einer Aristokratenfamilie bedeuten würde, die bis zur Mayflower zurückreichte; nein, Sorgen machte Mutter, dass die Familie mit Schulden aussterben würde. Es schien, als wären unsere letzten hundert Jahre der Extravaganz mit massiven Krediten der Ringbank und von anderen freigebigen extraterrestrischen Institutionen finanziert worden. Nun barsten die Kontinente der Erde unter dem Ansturm der Kontraktionen, die großen Wälder standen in Flammen, die Ozeane tosten und wurden zu leblosen Suppen aufgeheizt, die Luft selbst wurde zu etwas, das zu heiß und dick zum Atmen, aber zu dünn zum Pflügen war – und jetzt wollten die Banken ihr Geld zurück.
    Ich war eine Nebenbürgschaft.
    So jedenfalls sah es Mutters Plan vor. Sie liquidierte sämtliche Aktivposten einige Wochen bevor der Ausdruck wortwörtliche Bedeutung bekam, legte eine Viertelmillion Mark in langfristigen Anlagen der Ringbank an und schickte mich auf eine Reise zum Atmosphärischen Protektorat Rifkin auf Heaven’s Gate, einer unbedeutenden Welt, die den Stern Wega umkreist. Schon damals hatte diese vergiftete Welt eine Farcasterverbindung zum Sonnensystem, aber ich farcastete nicht. Und ich war auch nicht an Bord des einzigen Spinschiffs mit Hawking-Antrieb, das einmal jährlich Heaven’s Gate anflog. Nein, Mutter schickte mich mit einem Phase-Drei-Staustrahlraumer mit Unterlichtgeschwindigkeit in dieses hinterste Outback, eingefroren mit Zuchtviehembryos, Orangensaftkonzentrat und Futterviren, eine Reise, die einhundertneunundzwanzig Schiffsjahre dauerte – mit einer objektiven Zeitschuld von einhundertundsiebenundsechzig Standardjahren!

    Mutter dachte sich, die aufgelaufenen Zinsen der langfristigen Wertpapiere würden bis dahin ausreichen, die Schulden unserer Familie zu bezahlen und mir vielleicht ermöglichen, eine Zeitlang sorglos zu leben. Zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben hatte Mutter sich geirrt.
     
    Notizen für eine Skizze von Heaven’s Gate:
    Lehmstraßen, die wie ein Muster offener Wunden auf dem Rücken eines Leprakranken von den Ladedocks der Station verlaufen. Sufrusbraune Wolken hängen wie Fetzen an einem Sackleinwandhimmel. Ein Gewirr unförmiger Holzgebäude, die halb verfallen sind, noch ehe sie fertig aufgebaut waren; jetzt gaffen ihre eingeschlagenen Fenster blicklos in die klaffenden Mäuler der Nachbarhäuser. Eingeborene vermehren sich wie … wie Menschen, schätze ich. Krüppel ohne Augen, mit von Luftfäule ausgebrannten Lungen wachen

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