Die Insel der Orchideen
ein gefundenes Fressen für die Moskitos.
Trotz der zunehmenden Kopfschmerzen gelang es ihr, zwei Aquarelle der Rauchwolke über dem Meer zu zeichnen, danach legte sie das Papier beiseite und lehnte sich zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, wie ruhig die Straße war. Wo sonst fliegende Händler Obst und Gemüse feilboten, Karren und Kutschen sich den Platz streitig machten und einheimische Kinder ihre Kreisel tanzen ließen, herrschte gespenstische Ruhe. Lediglich eine junge Chinesin in einem europäischen Kleid strebte mit großen Schritten direkt auf Leahs Heim zu. Verwundert stand Leah auf und beobachtete die Frau. Sie hatte die Chinesin noch nie gesehen, und doch trat diese vor die Haustür und klopfte. Leah torkelte nach unten. Obwohl ihr schwindelte, schaffte sie es zur Tür. Die Chinesin zuckte zusammen, als Leah öffnete; wahrscheinlich hatte sie eine Bedienstete, nicht aber die Hausherrin erwartet, und schon gar nicht im informellen Sarong. Sie fing sich schnell wieder. Ob sie die Ehre hätte, mit der Countess of Arliss zu sprechen? Ihr Englisch hatte nicht die Spur eines Akzents.
Leah bejahte. »Und wer sind Sie?«
Ein kurzes Zögern. »Mein Name ist Ah Wen«, sagte die Frau. »Ich bin zu Besuch bei chinesischen Bekannten, stamme aber aus Singapur. Mr Ross Bowie bat mich, Ihnen seine Grüße auszurichten, und riet mir, mich an Sie zu wenden, sollte ich Rat brauchen.«
»Bowie?« Vor lauter Verwirrung vergaß Leah, den Gast hereinzubitten. Erst als sich die Chinesin mit der Hand etwas Kühlung zufächelte, bemerkte sie ihre Unhöflichkeit.
»Kommen Sie ins Haus. Ich hole Wasser und Obst aus der Küche, dann setzen wir uns auf die Veranda, und Sie erzählen mir mehr.«
»Sie haben keine Dienstboten?«
»Die sind heute Mittag mit meinem Segen ins Hinterland gezogen. Aus Angst vor dem Zorn der Vulkangeister.«
Auf dem Gesicht von Miss Ah zeigte sich kurz ein Anflug von Unsicherheit. Leah führte sie auf die Veranda und bat sie, einen Moment zu warten. Sie fühlte sich furchtbar schwach, doch es gelang ihr, in der Küche einen kleinen Imbiss zusammenzustellen. Kurz darauf servierte sie ihrem seltsamen Gast Wasser, Papaya, Bananen und ein paar appetitlich arrangierte Reste der gestrigen Reistafel. Die Chinesin bedankte sich höflich, nahm aber nur einen Schluck Wasser. Sie behielt das Glas in der Hand und drehte es hin und her, während ihr Blick über die Veranda und die Umgebung flatterte. Sie vermied es, ihre Gastgeberin anzusehen.
Leah wiederum musterte ihr Gegenüber neugierig. Sie war überzeugt, dass die schüchterne Miss oder Mrs Ah europäisches Blut hatte, wenn sich auch der chinesische Anteil stärker durchgesetzt hatte. Vielleicht war einer ihrer Großväter Europäer gewesen? Kein ungewöhnlicher Familienstammbaum in diesem Teil der Welt. Da die junge Frau weiter schwieg, ergriff Leah trotz ihrer pochenden Kopfschmerzen die Initiative.
»Mr Bowie schickt Sie also?«
»Er lässt Grüße ausrichten.«
»Das erwähnten Sie bereits. Es wundert mich allerdings, dass er sich nach so langer Zeit an mich erinnert. Als ich ihn das letzte Mal sah, war ich fast noch ein Kind.«
»Ja, er sagte so etwas«, murmelte die Eurasierin.
»Also, welchen Rat möchten Sie bei mir einholen? Benötigen Sie eine Anstellung?« Das Gespräch gestaltete sich zäh wie Sirup und machte Leah ungeduldig. Normalerweise hätte die Situation sie amüsiert, doch sie fühlte sich von Minute zu Minute schlechter. Ihr Schädel schmerzte unerträglich. Leah massierte sich die Stirn und atmete tief durch. Es half nichts.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich fürchte, wir müssen unsere Unterhaltung ein andermal fortsetzen.«
Die Besucherin sprang auf und beugte sich über sie. Zu Leahs Überraschung ergriff sie ihr Handgelenk und fühlte ihren Puls. Prüfend sah sie ihr in die Augen. »Sie haben Fieber«, stellte sie fest. »Hohes Fieber.«
Leah nickte matt. »Malaria«, sagte sie.
»In diesem Zustand dürfen Sie nicht allein bleiben.«
»Ich bin zäh.« Sie erhob sich, fiel aber wieder zurück in den Rattansessel. Ihr war so schwindelig, dass die Welt schwankte.
Es war jedoch kein Schwindelgefühl. Auch die Besucherin klammerte sich haltsuchend an die Tischkante, während sich das Haus schüttelte, als wolle es lästige Fliegen loswerden. Gleichzeitig rollte Donner vom Meer herüber.
Leah unternahm einen weiteren Versuch, sich aufzurichten, doch es misslang erneut. Polternd stürzte sie auf den Boden. Sofort war Miss
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