Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
gesenktem Kopf da. Und nun …
Nun treten fünf Mann an ihn heran, drehen ihm den Kopf zur Seite und werfen ihn zu Boden. Vier halten ihn fest, der fünfte macht mit einem kleinen scharfen Messer in der Leistengegend einen Einschnitt, holt aus dem Hodensack die beiden weißen, vollkommen elliptischen Hoden hervor, schnürt sie ab, einmal, und noch ein zweites Mal mit irgendetwas – und mit einem Hieb trennt er sie ab.
Das Ren rappelt sich auf, steht wie im Stupor da wegen des brutalen Schmerzes und der Unumkehrbarkeit der Verwandlung, die mit ihm vorgegangen ist. Es zerrt nicht mehr in gedankenloser Widerspenstigkeit am Strick, denn es ist kein Kämpfer mehr. Es wird nie mehr mit einem Gegner um ein Weibchen konkurrieren. Seine Sache ist fortan der Schlitten … Und was ihm entnommen wurde, das bekommen normalerweise die Kinder (die diesen Leckerbissen einfach wie einen Apfel knabbern) oder die alten Männer (die sich mit dem Messer stückchenweise etwas davon abschneiden). Es heißt, es stecke große Kraft darin …
Das prächtige kaffeebraune Ren mit der weißen Brust war kein Traumgebilde gewesen. Ich sah es am Morgen im Korral wieder. Widerspenstig wich es den Treibern aus und wollte sich einfach nicht in der »Schnecke« fangen lassen, von wo aus es geradenwegs in die Hölle des Arbeitspferchs ging und in die Gaskammer des Impfpferchs. Tags zuvor hatte ich mir im Arbeitspferch eine Quetschung zugezogen und deshalb um eine leichtere Arbeit gebeten, nämlich die geimpften Tiere bei ihrer Freilassung mit blauer Farbe zu markieren. Neben mir hockte, auf einem gewaltigen Zweihundertliter-Benzinfass, Gawriil Afanassjewitsch, ein ehrwürdiger Greis, der immer eine Papirossa zwischen den Lippen hatte, und erfasste nach irgendeiner alten Sowchoseregistraturmethode auf einem dünnen Furnierholztäfelchen jedes Tier. Das Zählbrett war schon fast vollständig mit Strichen bedeckt und der Korral so gut wie leer. Es gab wohl noch an die vierzig, fünfzig Rene darin, und die Treiber gingen gerade mit einem großen Netz ans Werk, um sie alle auf einmal in die Arbeitskammer zu jagen. Da …
Eigentlich geschah nichts
Besonderes
. Eines der Rene – eben dieses kaffeebraune prächtige Tier mit der weißen Brust, das seinen Häschern zum x-ten Mal entkommen war – hielt bloß plötzlich kurz inne, als werde ihm etwas bewusst, dann galoppierte es und galoppierte und warf sich mit voller Wucht exakt auf den Punkt, wo für die Menschen ein Durchschlupf im Gatter gelassen worden war und der ehrwürdige Gawriil Afanassjewitsch saß. Ich hörte das in meinem Rücken zerreißende Netz und konnte zur Seite springen, aber Gawriil, nichtsahnend, wurde mitsamt seinem Täfelchen und Fass niedergerannt. Auf seinem Gesicht spiegelten sich ein leichter Schreck und Überraschung. Im selben Moment begann das Ren, das durch das Netz zu brechen versuchte, mit den Läufen nach allen Richtungen auszuschlagen, dass der ganze Korral erzitterte, während die Hufe in nächster Nähe von Gawriils Gesicht peitschten.
»Himmel Arsch!«, stieß der ehrwürdige Alte mit verzerrter Stimme hervor, während er sich von dem Tier und dem rollenden Fass wegzudrehen versuchte. Zum Glück war es dem Ren schon im nächsten Augenblick gelungen, sich freizukämpfen, und nachdem es zwei-, dreimal wütend geschnaubt hatte, vollführte es ein paar kraftvolle, nervöse Sätze, ehe es in einen ruhigeren Schritt verfiel.
Aus irgendeinem Grund brachen alle, die Zeugen dieser Szene geworden waren, in ein erleichtertes Lachen aus. Offenbar hat auch der Mensch irgendwann diese verfluchte Rolle des grausamen Wesens satt. Wir lachten nämlich aus Freude. Wir freuten uns darüber, wie kühn und elegant das Tier über unsere doch ziemlich grobschlächtigen Kniffe gesiegt hatte. Und das war ein herrliches Gefühl. Der Mensch hat, selbst als Wesen, das aus der natürlichen brüderlichen Gemeinschaft verstoßen ist, trotz allem nicht verlernt, die Freiheit in all ihrer Unzweckmäßigkeit zu schätzen.
Bei Gott, als es sich freigekämpft hatte, war es einem doch leichter ums Herz …
Erneut der Wind
Es war schon beinah dunkel, als wir etwas abseits des Weges eine Herde Fahrtiere entdeckten. Fahrtiere werden nie weit fortgelassen, folglich waren auch Menschen nicht mehr weit, und damit Essen und Wärme.
Die Baloks standen am Rande eines brettflachen, nach drei Seiten schroff zu einem Fluss hin abfallenden Plateaus. Wegen des Flusses mussten wir einen Haken schlagen; aber
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