Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
Woche der Fettlebe während der Zählung geriet, alles falsch verstanden. Vielleicht verstehe ich auch jetzt noch alles falsch, ja habe so alles von Anfang an falsch verstanden? Weshalb anscheinend meine Versuche, den Spuren der Künstler Ada und Wolodja nachzugehen, immer in einer Katastrophe für mich enden … Lartschi, die schöne Lartschi, die einst in Pumps durch die gefrorene Gischt lief, entpuppt sich als Larissa Fjodorowna und Witwe von Anatoli Poluektowitsch – dem Chef des Hubschrauberlandeplatzes, der seinerzeit mit ausgesuchtem Spott auf meinen Wunsch reagierte, diesen kalten Flecken Erde schnellstmöglich zu verlassen, um in meine Welt zurückzukehren, und meinen Abflug von Mal zu Mal verschob. Damals war ich wütend auf ihn. Aber nun lebt er schon nicht mehr, und Grigori Iwanowitsch, dem ich vorbehaltlos glaube, erzählt, was für ein guter, anständiger Mensch er war. Gestorben ist er an einer urkolgujewschen Krankheit, dem Alkohol, von dem er nicht loskam. Und Lartschi, Larissa Fjodorowna – eine nicht mehr junge und wohl auch nicht mehr schöne Frau, mit der diesen stämmigen, annähernd glatzköpfigen, dem Anschein nach so ruhigen Menschen lebenslang eine heftige, verzehrende Leidenschaft verband –, Lartschi geht jetzt in grüner Wattejacke und Gummistiefeln über den kaputten Straßenbelag zum Geschäft und träumt offenbar von nichts mehr. Wie sie in ihrer Jugend ausgesehen haben muss, lässt sich an ihrer Tochter Ula ablesen, einer jungen Frau von seltener Schönheit. Von jener Schönheit, wie sie nur bei Menschen zu finden ist mit Eltern, in deren Adern unterschiedliches Blut fließt; solchen Gesichtern begegnet man in New York und London oder Paris, wo alle Rassen sich vermischen – aber was macht sie hier in Bugrino, wo geht sie hin, denn wer aus dem Haus geht, der geht doch irgendwo
hin
? Ins Geschäft? Oder die Arbeitslosenunterstützung abholen? Oder einfach nur so ein bisschen herum, dem uralten Instinkt nachgebend, der Suche nach einer Kraft, die sie zärtlich und machtvoll aller Umkleidungen entledigt, ihr den Atem von den Lippen trinkt und in einer einzigen heißen Zuckung mit ihr verschmilzt – aber begreift sie denn nicht, dass es ein Hinterhalt ist? Nein. Am verblüffendsten ist, dass hier niemand begreift, dass ringsum Hinterhalt lauert.
Oder bin ich es, der einfach gar nichts begreift?
Das Gefühl der Hilflosigkeit zieht mich zum Finale hin. Die Bewegung hat sich erschöpft, und kaum ist man stehengeblieben, gehen nicht nur im Handumdrehen Takt und Rhythmus verloren, sondern auch jeder Maßstab, denn das gewohnte Mittel, die Umgebung und sich selber nach den Gesetzen der Wanderschaft zu beurteilen, greift nicht mehr, jede Kleinigkeit sticht einem wie ein Balken ins Auge, und das Unglück der anderen, das sie nicht offenlegen können, ja nicht dürfen, wird einem unwillkürlich zum Ärgernis, und du könntest in Rage geraten, und nachdem dir allein die verborgenen Karten aufgedeckt wurden, alle Trümpfe auf den Tisch legen mit einem unwiderruflichen who is who. Im Stile eines Urteils. Bis zu welcher erbärmlichen Richterrolle kann sich einer versteigen, kaum dass er kurz vergisst, wofür er über die Schwelle seines Hauses, die wartende Geliebte zurücklassend, getreten ist … Um mit Stirnrunzeln auf anderer Leute Unglück zu schauen? Unglück ist etwas zu Rätselhaftes, um darüber im Vorbeigehen zu urteilen. Niemand weiß, weshalb der Himmel so grausam ungerecht verfährt und Geschlecht um Geschlecht eine Generation nach der anderen mit maßlosem Unglück belegt … Vielleicht nur, damit diejenigen, die diese entsetzliche Prüfung unbeschadet überdauern, etwas sehr Wichtiges verstehen können. Etwas, das Dutzende Menschen Dutzende Jahre hindurch nicht zu verstehen vermochten, vielleicht auch nicht verstehen wollten – das zu verstehen sie aber einfach gezwungen wurden durch all das viele Unglück …
Was, das weiß ich nicht. Denn vor meinen Augen ragt immer noch dieses unglückliche, kaputte Dorf auf, dessen Jahre gezählt sind, dieses Dorf, für das es keinen Ausweg gibt. Aber insofern die Zukunft unausweichlich ist, gibt es irgendeine, wenn auch uns unbekannte Fortsetzung.
Einen Punkt kann man nur im Buch setzen. Ja und auch da kommt ein ganz anderes Finale heraus als eingangs gedacht. Meine Erzählung fiel, wie es ja nicht selten geschieht, der Ambition des Autors zum Opfer, er wollte zu vieles hineinpacken, und so verwandelte sie sich in ein Werk von derselben
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