Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
bewegen, damit keinesfalls eine Spur auf dem Gewissen bleibt.
Weshalb ich, Petja, deinen Überlegungen in Sachen Menschheit eine Geschichte anfüge, deren Ende du nicht kennst, und wahrscheinlich erinnerst du dich auch nicht des Anfangs, obwohl das alles an diesem letzten Tag vor unserem Abflug stattfand. Wir waren gerade von unserer Soziologierunde ins Hotel zurückgekehrt, da schaute Tolik herein, mit Sascha im Schlepptau – dem schnauzbärtigen Sascha, der uns am ersten Tag unserer Wanderung im Motorboot zur Waskina gebracht hatte. Ich hätte ihn gleich entlohnen müssen, knauserte aber irgendwie, ich hatte nicht mehr viel Geld und wollte in Narjan-Mar nenzische Puppen kaufen, beeindruckende Arbeiten eines dortigen Künstlers, und außerdem befürchtete ich, dass wir auf dem Flughafen für unser Übergepäck ordentlich würden bezahlen müssen, kurz: ich brachte in Anschlag, dass Odinzow ihm den Tank vollgemacht hatte und wir somit quitt wären. Ich stellte ihnen Tee hin, sie machten es sich in der Küche bequem, wir rauchten. Schließlich waren es drei Zigaretten, man konnte in der Küche vor Qualm schon nicht mehr atmen, außerdem wollte ich arbeiten, und dann lag in Saschas Blick etwas Fragend-Hoffnungsvolles, das mich die ganze Zeit daran erinnerte, dass ich mit dem Geld nicht herausrückte. Sie aber saßen und saßen: auch sie hatten nichts zu tun. Sie waren, ehe sie herkamen, einem Boot hinterhergejagt, das sich bei Flut losgerissen hatte und ins Meer hinausgetrieben war, wofür sie von dem Besitzer eine Flasche Wodka bekommen und diese anscheinend geleert hatten.
Wir tranken Tee, kakelten einigermaßen halbherzig über Politik – irgendwo in Omsk sind wohl Monarchisten oder Faschisten oder Kornilowanhänger aufmarschiert …
Soll die Kornilowanhänger doch der Teufel holen!
Soll sie der Teufel
alle
holen.
Ich dachte gereizt, dass außer Kolja keiner von den Einheimischen beim Löschen der Kohle zu sehen war und sich die Matrosen mit dem Dreißigtonnenponton allein abrackerten. Wenn es dabei blieb, würden sie mindestens einen halben Monat brauchen.
Die Jungs wollten noch einen heben.
Sascha zeigte mir einen ganz erstaunlichen Stein: er sah aus wie im Feuer verkohltes, gänzlich versteinertes Holz. Und tatsächlich nennt man ihn hier
Beresnjak
, »Birkenholz«, es ist eine Schieferart – noch so eine Hervorbringung der unsäglich schweren Schichten Kolgujews, ein Traumgebilde der unbeweglichen Materie, die keine andere Kraft als die Schwerkraft und keine andere Einwirkung als den Druck kennt.
Ein herrlicher Stein, der wie Holz und Stein und Knochen zugleich aussieht.
»Aus Beresnjak werden Wetzsteine zum Feinschliff von Messern gemacht«, erklärte uns Tolik. »Ein guter und nützlicher Stein.«
Aus allem Gesagten schloss ich, dass Sascha nichts dagegen gehabt hätte, sich von dem Stein zu trennen, aber natürlich nicht umsonst. Vermutlich dachten sie an einen Zehner, der für noch eine Flasche reichen würde.
Aber die Nachrichten aus dem Radio wie die Nachrichten aus Bugrino hatten mich in Harnisch gebracht, und ich tat, als verstünde ich die Anspielung nicht. Ich hatte schon eine ganze Festung zur Rechtfertigung meiner Knauserigkeit aufgeführt und hielt mich für empört: Ich habe schließlich auch nicht Geld wie Heu! Außerdem kotzt mich alles an! Mich nervt, dass alle betrunken sind, und ihr auch trinkt, und niemand beim Kohleausladen hilft! Ihr kriegt Brennmaterial geliefert, damit ihr heizen könnt – wieso ist dann nicht mal der Traktorist vom Essen zurück und müssen die Matrosen jetzt den verwaisten Traktor und den Ponton allein ans Ufer ziehen! Mich nervt, mir jede Nacht irgendwelche delirierenden Beichten anzuhören, und dann zu sehen, dass keiner einen Finger rührt, damit das Leben, sein Leben, ein bisschen weniger schrecklich wird.
Aber zugleich wäre es besser gewesen, ich hätte diesen unglückseligen Zehner hergegeben. Dann hätte ich später kein schlechtes Gewissen gehabt. Es gibt besondere Gewissensbisse: hinter ihnen stehen besonders beschämende, engherzige Gefühle … Was hätte es mich gekostet? … Nichts … Aber ich hatte entschieden, ich sei berechtigt, stumm zu Gericht zu sitzen und das Urteil dieses inneren Tribunals umzusetzen: die paar Kröten zu verweigern, die Trunksucht nicht zu dulden. Später dann in Moskau, als ich von diesen Scheinen mal viele, mal wenige und manchmal auch so viele besaß, dass sie für jeden Blödsinn und Oberblödsinn reichten,
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