Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
an.)
Also das erzählt von einem, der einmal Hirte war, mit drei Stuten, also bei Russen, und die hatten so viele Rene, dass er von der Herde eingekeilt war und seinen Tschum nicht finden kann – nicht mal weiß, in welche Richtung der liegt. Es ging schon auf die Nacht zu. Aber in welche Richtung liegt bloß der Tschum? Und die Herde – ist sooo riesengroß. Ja, und dann ist er alt, die Zeit ist vergangen, er ist kein Hirte mehr, ja ist überhaupt nichts mehr, niemand sieht ihn eigentlich mehr. Niemand beachtet ihn mehr. Zuerst, da haben sie ihm noch ein Gläschen gegeben, aber dann beachtet ihn halt niemand mehr. Und das beweint er.
Das ist ein mitgebrachtes Lied, vom Festland drüben. Das hat mein Onkel gesungen, der älteste Bruder von der Mutter. Wassili Michajlowitsch, von der Nina Wassiljewna der Vater.
Ein anderes altes Lied erzählt von einem Samojeden. Er wacht morgens vor der Schenke auf und fragt sich: Hab ich etwa fünfzehn Rubel vertrunken? Hat er. Und wo sind meine Rene? Auch vertrunken. Er macht sich auf, weiß nicht, wohin mit sich, da kommt ihm ein Russe entgegen. Der weint selber. Was weinst du, vielleicht kann ich dir ja helfen? Wie willst du mir helfen, mein einziger Sohn wird eingezogen. Komm, ich geh an seiner Stelle, gib mir bloß zu essen und zu trinken, bis sie mich ziehn. Da hat sich der Russe gefreut und ihn mitgenommen. Und jeden Tag durchgefüttert und ihn abgefüllt. Bis der Nenze eines Tages aufwacht, mit Stiefeln an den Füßen, die irgendwohin marschieren im Schritt: Soldatenstiefel sinds, sieht er, was er an den Füßen hat. Sie kommen nach Tobol, vor eine Festung. Mit einem Tor, das Wachtürme hat. Und vor jedem Turm steht ein Soldat und liegt ein Hund an der Kette. Oh je, denkt er, weglaufen kann ich da nicht durch das Tor, ich wills über die Mauer probieren, scheint nicht so hoch. Kurz, er hat kräftig Schwung geholt und ist über die Mauer gesetzt. Aber er hatte ja Soldatenkleider an. Also ist er gerannt. Und hats bis nach Haus geschafft. So hat er sich gerettet, und dem Russen hat er auch noch geholfen.
(Hierauf singt Grigori Iwanowitsch im Stehen und in die Hände klatschend ein Scherzlied.)
Das ist ein Frauenlied. Eine Frau, die von sich singt. Seit vier Jahren ist sie verheiratet, aber Kinder hat sie keine gekriegt in den vier Jahren. Mit andern Worten, sie ist unfruchtbar. »Sie ist eine Chawtarka.« Eine Chawtarka ist eine Unfruchtbare. Ja, und davon singt sie eben …
»Jetzt wolln wir wieder drüben das Land kritisieren.« Das Lied stammt aus der Bolschesemelskaja Tundra (vom Petschora-Unterlauf). Wird auch betrunken gesungen. Ich sings normalerweise immer, wenn ich was mache … Grob gesagt gehts um eine Fuchstreibjagd. Alle sind zugange. Aber, kurz und gut, der Fuchs ist aus dem Kessel entkommen. Da rufen sämtliche Malosemelsker Frauen (also die linkspetschorischen), der Bolschesemelsker soll ihm nachsetzen, der soll ihm hinterher, der, mit seinen Renen mit den abgesägten Geweihen! Aber der: Würd ich ja, aber meine Rene können nicht mehr … Wie denn einen Fuchs einholen, der aus dem Kessel entkommen ist? Und meine Rene sind schon ganz geschafft, liegen bloß noch da und keuchen …
(Dann singt Grigori Iwanowitsch ein letztes Lied, wieder im Stehen und mit Händeklatschen.)
Hier gehts grob gesagt um Tote, die als Freier in ein Haus kommen. Der Hausherr hat eine Tochter. Und der Tote im Harnisch – hast du mal gesehen, hinter der Tschumtür, da gibts manchmal einen Harnisch? –, also der im Harnisch fängt zu tanzen an und fragt: Wie heißt die, um die ich freie? Und der andere, der Vater von der Braut, der auch was Totes hat, fragt seine Frau: Wie heißt sie noch gleich, unsre Tochter? Aber die beiden haben vergessen, wie die Tochter heißt, sind im Kopf nicht mehr ganz beisammen, waren bestimmt auch wie tot. Da fängt die Frau zu tanzen an und fragt, wie die Tochter heißt. Der aber dröhnt der Kopf, und überhaupt kann sies nicht mehr hören. Sie schnappt sich den Bruder und zieht einem Birkenspaten die eigenen Kleider an, und geht weg von den Eltern in die Tundra …
Das Idol
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Einmal ist Folgendes passiert: Vom Urgroßvater her gabs noch … Ich hatte noch Trommeln … In welchem Jahr war das noch? 64, oder 65. Der Iona, der mit der Mira Iwanowna verheiratet war … also die beiden waren mitten in der Jamdanka, mit ihrer Tochter: Olga Ionowna, von unserm Speicher, unsern zwei Speichern weg. Und die Olga hatte ein Idol rausgemopst, eine kleine
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