Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
Leben, dieses verfluchte Leben, schneller um ist …
Und außerdem wittert der Schütze mit seinem animalischen Spürsinn im Fremden den Knacks: Anscheinend weiß der nicht sicher, was er eigentlich will, wer er ist. So wars mit den Moskauern in der Armee: begriffen nicht länger, wozu
.
Aber da reist der Fremde ab …
Und was weiter? Genau das wüsste man nur zu gern. Denn wenn es mir eines Tages vergönnt sein sollte, über das zu schreiben, was ich auf der Insel erlebt habe, dann würde genau dieser Bursche, Alik, im Zentrum der Erzählung stehen. Und entweder können er und ich dann eine gemeinsame Sprache finden, oder wir können sie nicht finden. Aber wenn wir es nicht können – dann ist es aus. Alles aus. Erklären kann ich das nicht …
Dass ich mich rein zufällig mit dem Funkstationschef Michajlytsch besoffen habe, hat den Chef vom Hubschrauberlandeplatz, Saukow, beleidigt, der anscheinend auch damit gerechnet hatte
.
Ohne mich groß um seine Verschnupftheit zu kümmern, bin ich tags drauf zu ihm, ein Ticket für den Hubschrauber kaufen, der die Kinder in die Schule bringt. Über sein ganzes kräftiges, rundes, nichts als wohlwollendes Entgegenkommen ausdrückendes Gesicht lächelnd, erklärt Anatoli Poluektowitsch Saukow, dass er mich nicht einchecken kann: »Kein Platz frei.« Ist sein gutes Recht
.
»Kommt denn noch eine Maschine?«
»Aber ja … Aber ja …«
Doch mit der nächsten wiederholt sich das Spiel. »Wo wollen Sie nur so eilig hin?«, lächelt Anatoli Poluektowitsch. »Bleiben Sie doch noch. Ein, zwei Wochen, und Sie leben sich erst so richtig ein …«
Der Hund. Hat mich um sechshundert Rubel gebracht. Noch vier, fünf Tage und ich kann gerade noch die Fahrtkosten decken. Danach nicht einmal mehr die …
Aber mich lieb Kind machen, wie es so schön heißt, werde ich nicht. Ich bin ins Hotel gegangen, habe mir was zu essen gekocht, dann bin ich in Richtung Bugrjanka gelaufen, dem Meer entlang, zu meinem Lieblingsplatz, wo erstmals die Hoffnung …
9 Die befestigte Siedlung Pustosjorsk wurde 1498 auf Befehl von Iwan III. gegründet, jedoch fand die Grundsteinlegung zum falschen Zeitpunkt statt, »bei schartigem Mond«, weshalb sich noch während ihres Baus der Ausspruch eines Moskauer Kriegsmannes verbreitete, wonach »hier nichts Gutes geschehen« werde. Von Mund zu Mund weitergegeben, verstärkte einige Jahrhunderte später ein Fluch des Protopopen Awwakum diese Worte: Der Legende zufolge soll der Begründer des Altgläubigentums in der Stunde seiner Hinrichtung ausgerufen haben, spurlos gehe, von Sand verweht, dieser Flecken unter. Die Prophezeiung bewahrheitete sich: Im 20. Jahrhundert, als Pustosjorsk seine einstige Bedeutung ohnehin bereits eingebüßt hatte, änderte die Petschora, sich nach links wendend, ihren Lauf, wodurch jener Flussarm namens Gorodezki Schar, an dem das Städtchen lag und der einmal der bedeutendste Arm der Petschora gewesen war, versandete und sich in eine Anzahl kleiner, nur mehr mit Ruderbooten befahrbarer, untereinander verbundener Flussbetten verwandelte, was den Untergang von Pustosjorsk endgültig besiegelte.
10 Ada Rybačuk, Vladimir Mel’ničenko,
Ostrov Kolguev
, Moskau, 1967.
11 Transportable Behausung der Nordvölker Sibiriens, bestehend aus einem Gerüst konisch angeordneter, meist mit Rentierhäuten bespannter Stangen. [Anm.d.Ü.]
12 Sofja Alexejewna, ältere Halbschwester von Peter dem Großen, nach einer Palastrevolution und bis zu ihrem Sturz durch Peter I. von 1682-1689 russische Regentin. [Anm.d.Ü.].
Der Traum
Am Strand, wo der Fluss ins Meer mündet, sitzt er in einer sonnengewärmten Kuhle und gräbt mit einem scharfen Messer Rosenwurz aus. Es gibt viele Stauden hier, er gräbt die Pflanzen sorgfältig aus dem Sand aus, schneidet den saftigen oberen Teil mit den fleischigen Blättern ab, klopft die Wurzelstöcke am Schuh aus. Da sieht er plötzlich den Schützen. Der Schütze ist mit dem Gewehr unterwegs. Die Gänse fliegen ab. »Du willst auch abfliegen?« – »Ja.« – »Du bist kein wirklicher Journalist, hat mir Saukow gesagt.« – »Mag schon sein, ja, kein wirklicher.« – »Warum hast du uns belogen?« – »Ich habe niemanden belogen.« – »Aber du hast doch gesagt, du arbeitest für eine Zeitung.« – »Tu ich auch.«
Der Fliehende knüpft das Gespräch langsam, Faden um Faden, denn er spürt, dass das Gewehr, das für die Gänse bestimmt war, jetzt einen Anlass sucht, ihn zu treffen.
Wird es einen Schuss
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