Die Insel und ich
gottverlassenen Insel!»
Joan sagte: «Du, Laurie hat mir erzählt, daß Helen ihm gesagt hat, daß Bobby dich gern hat.»
«Wann?» fragte Anne, begann zu strahlen und ließ die Tränen versiegen.
«Gestern», sagte Joan. «Hab vergessen, es dir zu erzählen.»
«Du Schwein!» schimpfte Anne. «Und nun hab ich schon Jimmy versprochen, daß ich Freitag mit ihm tanzen gehe. Ach, ich könnte dich umbringen!»
«Davon hättest du gar nichts», sagte Joan ruhig, «denn wenn ich tot wäre, könnt ich dir nicht erzählen, was Laurie noch gesagt hat.»
«Was?» fragte Anne.
«Sag: ‹Ehrenwort, daß ich dich nicht umbringe!›»
«Unsinn!» rief Anne.
Joan sagte: «Und versprich, daß du mir beim Aufsatz hilfst!»
«Ja, meinetwegen!»
«Also Laurie hat gesagt, daß Helen ihm erzählt hat, daß Bobby dich zum Fußball-Tanz von der Seaview-Boys’-Schule einladen will. Was willst du dann anziehen?»
«Sicher ein scheußliches altes Kinderkleid», sagte Anne verdrießlich. «Und alle andern Mädchen sind reich und dürfen rauchen und haben trägerlose große Abendkleider.»
«Karen Hendricks ist auch nicht reich, und ihr ‹Fester› ist der Sprecher für alle Studenten in seiner Gruppe.»
«Hah, die lebt auch nicht auf einer lausigen Insel», rief Anne.
«Wenn ich rotes Haar und ’n Busen hätte, wär’s mir egal, wo ich wohnte», sagte Joan sehnsüchtig. «Du, hör mal, das Thema von meinem Aufsatz heißt: Weshalb ich gern studieren möchte.»
«Huh, was für’n widerliches Thema!» rief Anne.
«Du hast mir aber versprochen, daß du mir helfen willst.»
«Weiß ich», sagte Anne. «Aber ich kann dir nur lauter Lügen sagen.»
«Ich hol mein Heft», rief Joan.
«Warte», sagte Anne. «Erst muß ich mein Haar fertig auf drehen. Wenn du willst, kann ich’s dir auch aufdrehen», setzte sie großmütig hinzu.
«Oh, himmlisch!» rief Joan begeistert.
Von nun an verbrachten Anne und Joan und all ihre kleinen Freundinnen mindestens ein Drittel ihres Lebens damit, das Haar in kleine Schnecken zu drehen. Über den Schneckenkopf banden sie Tücher verschiedener Art: in einem Jahr waren es Geschirrtücher, in einem andern Jahr Herrenhalstücher, ein andermal Wollschals und danach riesige seidene Vierecktücher. Das Merkwürdige war, daß wir die Schnecken niemals in geöffnetem Zustand sahen, es sei denn, ein ganz großer Tanz stand bevor. Sonst blieb das Haar in Schnecken. Es war aufgedreht, wenn sie zur Schule gingen, und es wurde sofort wieder aufgedreht, wenn sie nach Hause kamen.
Vorigen Samstag besuchte mich die zweite Tochter meiner Schwester Mary, die sechzehnjährige Sally, und brachte drei Schulfreundinnen mit. Ich zuckte zusammen, als ich ihr Haar sah: der ganze Kopf war mit winzigen Schnecken bedeckt, in denen gekreuzte Lockennadeln steckten. Ich beschloß, mich bei Sally, die nicht meine Tochter ist und daher nicht jede Frage als persönliche Kränkung auffaßt, einmal zu erkundigen, weshalb Backfische ihr Haar die ganze Zeit aufgedreht an der Kopfhaut tragen. Behutsam fing ich an: «Sally, könntest du mir eine Frage beantworten?»
Sofort wechselten sie und ihre drei Freundinnen Blicke, und die drei andern scharten sich um Sally, die argwöhnisch fragte: «Was möchtest du denn wissen?»
«Weshalb du dein wunderschönes blondes Haar die ganze Zeit aufgedreht trägst. In den letzten zwei Jahren habe ich es kaum zweimal offen gesehen.»
«Oh, ich trage es auch offen», sagte sie.
«Wann?» fragte ich.
«In der Schule. Ich kämme es aus, sobald ich morgens in die Schule komme.»
«Und zu Hause drehst du es dann gleich wieder auf?»
«Natürlich», sagte sie. Es könnte jemand kommen, und da muß es doch schön sein.»
«Aber wenn nun niemand kommt?»
«Dann ist es gleich zum Essen schön.»
«Kämmst du es denn vor dem Essen aus?»
«Papa erlaubt nicht, daß wir mit aufgedrehtem Haar an den Eßtisch kommen. Er ist so elend kratzbürstig deswegen, sicher ist er schon im Klimakterium.»
«Und nach dem Essen drehst du es wieder auf?»
«Natürlich.»
«Weshalb?»
«Es könnte doch jemand kommen.»
«Und wenn der Jemand kommt, machst du es auf, und nachher, ehe du zu Bett gehst, drehst du es noch mal auf?»
«Sicher.»
«Damit es in der Schule schön aussieht?»
«Natürlich!»
«Wäre es nicht einfacher, wenn du Dauerwellen hättest?»
«O nein! Dauerwellen sind ordinär.»
Ich fragte: «Und auf der Fähre sitzt ihr auch alle mit den nassen kleinen Schnecken auf dem
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